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Die Linke: Mitgliederexplosion – und nun?

Gestärkt durch die Bundestagswahl bereitet sich die Linke NRW auf die Kommunalwahl im Herbst vor

Eine Arbeitsgruppe diskutiert beim Parteitag der Linken NRW, wie man mit dem Mitgliederboom umgeht.
Eine Arbeitsgruppe diskutiert beim Parteitag der Linken NRW, wie man mit dem Mitgliederboom umgeht.

Samstagabend in der Hagener Stadthalle. Im großen Saal sitzen gut 50 Mitglieder der nordrhein-westfälischen Linken, sie nehmen an einem Workshop zur Organisierung von Mitgliedern teil, der zum Parteitag gehört. Gleichzeitig haben sich etwa ebenso viele neue Mitglieder der Partei im Foyer der Stadthalle versammelt. Die Landessprecher*innen der Linken, Kathrin Vogler und Sascha H. Wagner, haben sie zu einem Kennlerntreffen eingeladen. Das Interesse der Neuen ist so groß, dass sie teilweise mehrere Stunden angereist sind, nur um beim Parteitag zuzuschauen.

Noch vor knapp vier Monaten hatte die Partei in Nordrhein-Westfalen 7500 Mitglieder, jetzt kratzt die Partei an der Marke von 20 000. Eine große Herausforderung, wie zahlreiche langjährige Parteimitglieder unumwunden zugeben. Die nordrhein-westfälische Linke war in den letzten Jahren besonders von der BSW-Abspaltung gebeutelt worden. Von sechs Bundestagsabgeordneten aus NRW blieben nur Kathrin Vogler und Matthias W. Birkwald in der Linke-Fraktion. Bei der Bundestagswahl errang die Linke 8,3 Prozent der Zweitstimmen und zieht mit 13 Abgeordneten in den Bundestag.

Aber der Reihe nach. Zu Beginn des Parteitags wurde, keine Überraschung, die Bundestagswahl ausgewertet. Als Gast sprach der Vorsitzende der Bundestagsfraktion Sören Pellmann. Auch zu seinen Themen gehörte die neue gute Laune in der Partei. Pellmann sprach davon, seit Wochen in »euphorische Gesichter« zu blicken – »ein geiles Gefühl«. Einen Wahlkampf wie den vergangenen hat er »noch nie erlebt«. Pellmann betont immer wieder, wie viel man »gemeinsam« gemacht habe und nicht jede*r für sich oder gar gegeneinander. Der Wahlkampf habe ihm ein Gemeinschaftsgefühl gegeben, das ihm mittlerweile schon fremd gewesen war.

Pellmann verteilte aber nicht nur warme Worte, er warnte auch. Im Osten habe man es geschafft, der AfD einzelne Direktmandate abzuluchsen, das könne aber nicht beruhigen. In den ostdeutschen Bundesländern sei die AfD acht bis zehn Prozent von der absoluten Mehrheit entfernt, und auch im Westen sehe es nicht gut aus. NRW-weit bekam die AfD 16,8 Prozent der Stimmen, in Gelsenkirchen ist sie stärkste Kraft bei den Zweitstimmen geworden. Mit Verweis auf eine Studie der Amadeu-Antonio-Stiftung erklärte Pellmann, dass der Westen dem Osten in Sachen faschistischer Mobilisierung um vier Jahre hinterher hänge, die Gefahr einer noch stärkeren AfD also gegeben sei. Auf CDU und SPD könne man sich als Brandmauer nicht verlassen, so der Fraktionsvorsitzende. Die Brandmauer sei die Linke, und sie müsse auch Antworten auf die Faschist*innen finden.

Kathrin Vogler beim Neumitgliedertreffen auf dem Parteitag
Kathrin Vogler beim Neumitgliedertreffen auf dem Parteitag

Auch Landessprecherin Kathrin Vogler schwor die Delegierten des Parteitags auf harte Jahre ein. Am kommenden Dienstag werde der Bundestag »grenzenlose Aufrüstung« mit der alten Mehrheit ins Grundgesetz schreiben. Das geschehe, »weil sie Angst vor uns haben«. Die Grünen hätten das »Comeback ihres Rückgrats« leider wieder rückgängig gemacht. Sonst wäre es möglich gewesen, die Schuldenbremse wirklich zu reformieren. Auch von der SPD könne man in den nächsten Jahren nur soziale Kälte erwarten, dies habe schon das Ergebnis der Sondierungsverhandlungen gezeigt. Vogler nennt etwa die geplante Abschaffung des Bürgergelds und das Ende des Acht-Stunden-Tags als Beispiele. Um sich gegen den grassierenden Rassismus und die Aufrüstung zu stellen, sei es gut, dass die Linke gestärkt sei.

Eine Stärke: die neuen Mitglieder. Über sie wurde schon in der Wahlauswertung viel gesprochen. Die Bielefelder Delegierte Laura Erkel betonte den »sozialistischen Standpunkt« der Linken. Mit vielen neuen Mitgliedern müsse man »Grundlagenarbeit« machen. »Es reicht nicht, antifaschistisch zu sein«, so Erkel. Die Verankerung der Partei in Arbeitskämpfen sei genauso essentiell wie die Positionierung als »einzige Friedenspartei«. Eine andere Delegierte widersprach Erkel, es gehe darum, die Neuen mitzunehmen und nicht, sie im eigenen Sinne zu bilden, viele neue Mitglieder brächten eigene Standpunkte in die Partei ein. Das sei eine Bereicherung. »Ich habe die Weisheit doch nicht mit Löffeln gefressen«, so die Delegierte. Gunhild Böth, ehemalige Landtagsabgeordnete und Landessprecherin, berichtete vom Wandel, der sich schon ein Stück weit vollzogen habe. Früher hätten Delegierte aus ihrem Kreisverband nach eigenem Gutdünken bei Parteitagen abgestimmt. Das sei »mitgliederfeindlich« gewesen. Diesmal habe man mit vielen Menschen über das Programm diskutiert und gemeinsam beschlossen, wie der Wuppertaler Kreisverband sich verhält. Das sei »aufwändig« gewesen, habe aber auch »große Freude« gemacht. Das Programm hatten so viele »studiert« und sich so gut in den Wahlkampf eingebracht. »Mein Herz ging auf«, so Böth.

Salvador Oberhaus, neben Böth Sprecher in Wuppertal, erklärte gegenüber »nd«, dass man in der Heimatstadt von Friedrich Engels »vor sehr ähnlichen Herausforderungen wie in vielen Kommunen, wo wir einen erheblichen Mitgliederzuwachs zu verzeichnen haben«, stehe. Um allen Mitgliedern ein Angebot machen zu können, habe man auf der letzten Mitgliederversammlung beschlossen, Ortsverbände zu gründen. Man werde die Aktivengruppen dezentralisieren. Das sei auch im Hinblick auf die Kommunalwahl im Herbst zielführend. Durch die Dezentralisierung erhofft sich Oberhaus auch, dass Mitglieder dauerhaft aktiv bleiben, wenn sie für Treffen nicht mehr durch die ganze Stadt fahren müssen und in ihrem direkten Umfeld aktiv sein können. »Trotzdem stehen wir immer noch am Anfang eines Prozesses, wie wir dauerhaft die inzwischen über 515 Mitglieder im Kreisverband Wuppertal einbinden können und ihnen dabei ein Umfeld bieten, wo man sich nicht nur willkommen fühlt, sondern sich auch selbstwirksam einbringen kann.« Erst mal steht man aber in Wuppertal vor ganz praktischen Problemen. Man braucht neue Räumlichkeiten für Mitgliederversammlungen, die alten sind zu klein, bei den letzten Versammlungen gab es für manche nur Stehplätze.

Wie man mit solchen ungewohnten Problemen umgeht, war in Hagen bei vielen Gesprächen Thema. Auf der großen Bühne des Parteitags berieten die Delegierten am Sonntag kommunalpolitische Leitlinien für den anstehenden Wahlkampf. Die Linke will sich für bezahlbaren Wohnraum, einen sozial-ökologischen Wandel, etwa durch kostenlosen öffentlichen Nahverkehr, und inklusive Bildung einsetzen. Von der Bundestagsfraktionschefin Heidi Reichinnek kam am Sonntagmorgen per Video die Zusage zur Unterstützung im anstehenden Wahlkampf: »Kommunalpolitik ist sexy!«

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