Auf Tuchfühlung zur Armee

Die Bundeswehr hat sich mit militärischen Ehren von Thüringens Ex-Ministerpräsident Bodo Ramelow verabschiedet

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 4 Min.
Der ehemalige Ministerpräsident Bodo Ramelow während der Serenade des Luftwaffenmusikkorps Erfurt
Der ehemalige Ministerpräsident Bodo Ramelow während der Serenade des Luftwaffenmusikkorps Erfurt

Jedem, der das Leben und die politische Karriere von Bodo Ramelow auch nur ein bisschen verfolgt hat, muss völlig klar gewesen sein, welches Lied sich der 69-Jährige für diesen Anlass ganz sicher auch wünschen würde. Natürlich »My Way« von Frank Sinatra. Die Hymne all derer also, die sich selbst als Menschen sehen, die sich nie haben verbiegen lassen.

Also ist Ramelow am Donnerstagabend der allererste, der applaudiert, als das Luftwaffenmusikkorps Erfurt für ihn im Innenhof von Schloss Friedenstein in Gotha genau dieses Lied spielt. Neben ihm, auf einer kleinen Bühne, stehen der stellvertretende Befehlshaber des Operativen Führungskommandos der Bundeswehr, Generalleutnant André Bodemann, und der Kommandeur des Landeskommandos Thüringen der Bundeswehr, Oberst Klaus Glaab. Die beiden Soldaten rahmen Ramelow ein, der eine ähnliche Haltung angenommen hat wie sie, während die Musiker spielen. Aufrecht, die Hände an der Hosennaht. Still stehen. Etwa eine halbe Stunde lang.

Was sich hier, erst in einem Festsaal des Schlosses und bald darauf in der kalten Märzluft draußen abspielt, ist bemerkenswert. Dieser Abend kann wohl nur in einer Welt stattfinden, die sich in einem radikalen Umbruch befindet. Und in der alte Gewissheiten nicht mehr allzu viel Wert sind.

Militärische Ehren für Ramelow? Für einen Mann, der als erster und auf absehbare Zeit wahrscheinlich auch einziger Linke-Politiker Deutschlands an der Spitze eines Bundeslandes stand und dessen Partei ein sehr schwieriges Verhältnis zur Bundeswehr hat. Für einen Mann, der von sich erzählt, dass er in den 1980er Jahren bei den Ostermärschen mit dabei war und über Kasernenzäune schrie. Für einen Mann, der niemals Soldat war, allerdings nicht, weil er den Wehrdienst verweigert hätte, sondern weil er ausgemustert worden war.

»Soldatinnen und Soldaten wollen nicht in den Krieg geschickt werden.«

Bodo Ramelow

Bodemann erinnert im Festsaal in einer kurzen Rede an diesen jungen Ramelow. Wie, fragt er, hätte Ramelow ihn wohl angeschaut, wenn er ihm in den 1980er Jahren gesagt hätte, die Bundeswehr werde zu seinem Abschied aus einem hohen Staatsamt für ihn eine Serenade abhalten. »Was hätten Sie über mich gedacht?«

Wegen all den Veränderungen und der Krisen in der Welt hat sich allerdings Ramelows Einstellung zur Bundeswehr in den vergangenen Jahren grundlegend gewandelt.

Glaab sagt an diesem Abend, dass er während der jüngsten Veranstaltung im Thüringer Landtag für die Angehörigen von Soldaten, die im Einsatz sind, dieses ehrliche Interesse Ramelows gespürt habe. Mancher Politiker hätte eine solche Veranstaltung als Pflichttermin gesehen und sich entsprechend verhalten. »Ich sage Ihnen aber: weit gefehlt«, erläuterte Glaab an die Gäste gerichtet. Ramelow – der solche Termine als einige der wichtigsten seiner Amtszeit nennt – habe sich ehrlich für die Sorgen und Nöte der Angehörigen interessiert. Ähnlich habe er sich etwa bei Appellen gegenüber den Soldaten selbst verhalten.

Schließlich war es deshalb auch Glaab, der Ramelow vor einiger Zeit fragte, ob der eine Serenade der Bundeswehr zu seinem Abschied aus dem Amt des Thüringer Ministerpräsidenten annehmen würde. Eine Würdigung, die es für noch keinen anderen scheidenden oder ausgeschiedenen Thüringer Regierungschef vor ihm gab. Und eine Ehre, die auch nicht jedem Ministerpräsidenten eines Bundeslandes zuteilwird. Ramelow sagt, er habe im Angesicht dieses Angebots Tränen in den Augen gehabt, »weil ich damit nicht gerechnet habe«.

Für die Öffnung Ramelows zur Bundeswehr gibt es zwei Schlüsselereignisse. Schon oft hat der ehemalige Ministerpräsident davon erzählt und er tut es auch an diesem Abend. Das erste waren die vielen Geflüchteten, die 2015/16 Deutschland erreichten. Das zweite war die Corona-Pandemie zwischen 2020 und 2023. Immer wieder, sagt Ramelow, sei er beeindruckt davon gewesen, welche Ruhe selbst in unübersichtlichsten Situationen eingetreten sei, sobald Soldaten beispielsweise die Ausgabe von Kleidern an Flüchtlingskinder oder die Registrierung von Menschen in Impfzentren übernommen hätten.

Aber Ramelows Hinwendung zur Truppe reicht seit Langem über Situationen hinaus, in denen Soldaten in zivilen Notlagen helfen. Schon 2015 hatte er in einem Interview gesagt: »Für mich ist die Bundeswehr als Verteidigungsarmee nötig.« Auch die Bundeswehrstandorte in Thüringen seien für ihn wichtig. »Und ich finde es nicht in Ordnung, dass die Bundeswehr schlechte Gewehre, schlechte Schiffe und schlechte Hubschrauber hat.«

All das sind Dinge, die ihn in einen scharfen Widerspruch zur Parteilinie der Linken gebracht haben, und die doch nur ein Prelude dafür waren, dass Ramelow nach Beginn der russischen Invasion der Ukraine Waffenlieferungen an das angegriffene Land verteidigen sollte. Wie einer, der seinen Überzeugungen treu bleibt und den Sinatra in »My Way« besingt.

An diesem Abend äußert sich Ramelow – ein paar Minuten ehe dieses Lied erklingt – wieder ganz ähnlich. Keinesfalls seien Soldaten kriegslüstern. »Die Bundeswehr ist nicht dazu da, Krieg anzufangen«, sagt er. »Soldatinnen und Soldaten wollen nicht in den Krieg geschickt werden.«

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