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Matthias Krauß: Von der Zeitung »nd« zur Fraktion AfD
Überraschender Seitenwechsel des freien Journalisten Matthias Krauß nach 27 Jahren
Der freie Journalist Matthias Krauß berichtete jahrzehntelang für »nd« und andere Zeitungen sowie für die inzwischen nicht mehr existierende Nachrichtenagentur ddp aus dem Potsdamer Landtag. Jetzt ist er dort plötzlich für die AfD-Landtagsfraktion tätig. Zu seinen Beweggründen für diesen überraschenden Seitenwechsel möchte er sich nicht öffentlich äußern. Geboren 1960 in Hennigsdorf, war Krauß vor der Wende junger Redakteur der »Märkischen Volksstimme«, die heute als »Märkische Allgemeine« erscheint. Danach arbeitete er als freier Journalist.
Seine ersten Beiträge im »nd« erschienen 1998, und seitdem schrieb er regelmäßig für die Zeitung – zunächst lange unter seinem Pseudonym Wilfried Neiße, in den letzten Jahren nur noch als Matthias Krauß. Dass er irgendwann in Rente gehen würde, war absehbar. Doch völlig überraschend und ohne jeden Vorlauf meldete er sich am 28. Februar telefonisch bei »nd« und teilte mit, er wolle ab sofort nicht mehr für die Zeitung schreiben. Es schien so, als wolle er sich nun zur Ruhe setzen. Die Andeutung, ihm passe das politische Umfeld nicht mehr, in dem seine Beiträge erschienen, kam nicht ganz so überraschend. Was Themen wie die Energiewende und geschlechtergerechte Sprache betrifft, waren seine Zweifel offensichtlich.
Nicht absehbar war jedoch, was am 3. März zunächst als vager Hinweis zu hören war. Am Abend hatte »nd« die inoffizielle Bestätigung. Am 4. März sorgte AfD-Fraktionschef Hans-Christoph Berndt bei den üblichen Dienstags-Pressekonferenzen der Landtagsfraktionen für Klarheit: Die AfD freue sich, den Journalisten Matthias Krauß begrüßen zu dürfen, er werde allerdings kein offizieller Mitarbeiter sein.
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Was genau sein Aufgabengebiet ist und in welchem Umfang er tätig wird, bleibt im Ungefähren. Krauß wird wahrscheinlich irgendetwas mit Öffentlichkeitsarbeit zu tun haben, ohne als Pressesprecher in Erscheinung zu treten.
Vor Jahren hatte Krauß aus Protest über den Umgang der AfD-Fraktion mit der Presse nach der Entfernung eines Kollegen aus einer Pressekonferenz schweigend seine Sachen gepackt und ebenfalls den Raum verlassen. Damit löste er ein in Erinnerung gebliebenes kollektives Handeln aus. Alle anderen Journalisten folgten ihm wortlos und ließen die AfD mit sich allein zurück. Dass er jetzt für die AfD arbeitet, löst große Verwunderung aus. Es gab viele Anfragen bei »nd«, ob das wirklich stimme.
Matthias Krauß war ein für Politiker unbequemer Kollege. So wie es gute Journalisten tun sollen, ließ er sich kein X für ein U vormachen, fragte hartnäckig nach und ließ sich nicht mit Phrasen abspeisen. Einer seiner Vorzüge war, bei aktuellen Entwicklungen kurz vor Reaktionsschluss noch schnell und flexibel zu reagieren. Er war zeitweise nebenher für die brandenburgische Rosa-Luxemburg-Stiftung und den Landesverband der Volkssolidarität im Einsatz.
Außerdem hat Krauß interessante Bücher geschrieben: So etwa 2004 eine Art schelmische Autobiografie mit »Der Wunderstaat« und 2005 eine Art Biografie über Kanzlerin Angela Merkel (CDU). 2007 legte er mit »Völkermord statt Holocaust« eine Studie zu Jude und Judenbild im Literaturunterricht der DDR vor, die mit dem im Westen gepflegten Vorurteil aufräumt, die Schüler hätten in der DDR sehr viel über den kommunistischen Widerstand gegen Hitler erfahren, aber fast nichts über Antisemitismus und Judenverfolgung. Auch in anderen Büchern zerpflückte Krauß die tendenziöse Aufarbeitung der DDR-Geschichte.
Einen Seitenwechsel wie diesen nach so langer Zeit hat »nd« bisher noch nicht erlebt. Viel bekannter ist der Fall des Journalisten Jürgen Elsässer, der sich in der Tageszeitung »Junge Welt« und in der Zeitschrift »Konkret« in linken Kreisen einen Namen gemacht hatte. Seit 2010 verantwortet Elsässer das rechte »Compact«-Magazin. Beim »nd« war er vor seiner Kehrtwende nur wenige Monate als Pauschalist beschäftigt. Seinen Irrweg nach rechts zu rechtfertigen, kostete Elsässer in seiner Autobiografie »Ich bin Deutscher« einige Mühe und Verrenkungen.
Ansonsten gab es noch zwei Fälle: Ein Journalist hatte wenige Beiträge unter anderem über die älteste Fluglehrerin Deutschlands bei »nd« untergebracht und trat dann als AfD-Mitglied in Erscheinung. Ein weiterer Journalist bot nach wenigen Beiträgen zuvor ein Interview mit einer Kritikerin der Corona-Maßnahmen an. Dabei unterschlug er den für das Thema erheblichen Fakt, dass die Interviewte einer AfD-Kreistagsfraktion angehört. In beiden Fällen wurde die Zusammenarbeit umgehend beendet.
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