SPD und BSW seit 100 Tagen »Seit’ an Seit’«

Die neue Koalition in Brandenburg hat noch nicht viel bewegt, ist aber mit sich zufrieden

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Waren früher mal beide Sozialdemokraten, sind jetzt Koalitionspartner: Finanzminister Crumbach (r.) und Ministerpräsident Woidke am Dienstag in der Potsdamer Staatskanzlei
Waren früher mal beide Sozialdemokraten, sind jetzt Koalitionspartner: Finanzminister Crumbach (r.) und Ministerpräsident Woidke am Dienstag in der Potsdamer Staatskanzlei

»Noch keine Koalition hatte in den ersten 100 Tagen so wenig vorzuweisen«, urteilt der Linke-Landesvorsitzende Sebastian Walter über SPD und BSW. Diese beiden Parteien bildeten nach der Landtagswahl vom September in Brandenburg die Regierung. Einig sei man sich schnell über Posten geworden, aber sonst sei »nicht viel passiert«, kritisiert Walter. Er spricht von Arbeitsverweigerung.

»In Brandenburg steigen die Mieten schneller als in Berlin, die Lebensmittelpreise sind hier mit am teuersten und jedes zweite Krankenhaus steht vor der Schließung – zu alldem hat die Koalition nichts zu sagen. Stattdessen schwadroniert die Innenministerin in AfD-Manier über Ausländerkriminalität, werden dreistellige Millionenbeträge aus dem Transformationsfonds für die Lausitz für Aufrüstung in Holzdorf zweckentfremdet«, bemängelt der Landesvorsitzende der Linken. Walters Partei scheiterte im September deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde und ist im Parlament nicht mehr vertreten. Für Walter steht in den Sternen, ob die Koalition die laufenden Haushaltsverhandlungen übersteht. Er beteuert: »Wir stehen bereit für Neuwahlen.«

»Es liegt schwere Arbeit vor uns und wir beide sind schwere Arbeit gewöhnt. Wir können das. Wir mögen das. Ich formuliere es einmal so: Wenn’s einfach wäre, könnten es auch die anderen.«

Robert Crumbach BSW-Finanzminister

Der neue Grünen-Landesvorsitzende Clemens Rostock nennt SPD und BSW »zwei vermeintlich soziale Parteien, die es nicht einmal schaffen, bei den drängendsten sozialen Fragen – bezahlbares Wohnen, gerechte Löhne, soziale Sicherheit – auch nur ansatzweise zu liefern«. Bis heute habe Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) keine Regierungserklärung abgegeben, wohin sich das Bundesland entwickeln solle, rügt Rostock. »Durch mangelnde Initiativen der Koalition wird das Parlament zur ausschließlichen Bühne für Rechtspopulisten, die mit Desinformation, Spaltung und kalkulierten Tabubrüchen das Vertrauen in unsere Demokratie untergraben. Während radikale Kräfte die parlamentarische Bühne für ihr eigenes Spektakel missbrauchen, bleiben die echten Probleme der Brandenburgerinnen und Brandenburger auf der Strecke.« Für Rostock zeigt sich immer deutlicher, dass eine kraftvolle, progressive Opposition wie die Grünen im Landtag fehle – eine Opposition, »die linke, liberale und ökologische Alternativen aufzeigt und die Regierung zum Handeln zwingt«.

100 Tage zur Einarbeitung soll die Opposition traditionell einer neuen Regierung gönnen, ehe sie diese ins Kreuzfeuer der Kritik nimmt. Die 100 Tage sind am 21. März um. Ministerpräsident Woidke und sein Finanzminister Robert Crumbach (BSW) ziehen am Dienstag schon einmal eine erste Bilanz. Wichtige Themen wie der Abbau von Bürokratie und die Stabilisierung der Wirtschaft seinen angepackt.

Woidke weist darauf hin, dass es nach der Wahl nur eine Möglichkeit gegeben habe, eine stabile Regierung zu bilden. Zusammen mit der CDU hätte seine SPD nur 44 von 88 Stimmen im Landtag gehabt und damit gerade einmal ein Patt erreicht. Eine Koalition mit der AfD, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft ist, galt als ausgeschlossen. Da blieb Woidke nur eine Einigung mit dem BSW übrig. Die Wagenknecht-Partei hatte ihren Landesverband Brandenburg erst am 25. Mai vergangenen Jahres gegründet und nicht gedacht, sich so schnell in der Landesregierung wiederzufinden. Große Begeisterung füreinander habe anfangs nicht bestanden, gesteht Woidke. »Was an Vertrauen gewachsen ist«, sei schon »etwas Besonderes«. Es sei »im Großen und Ganzen recht gut gelungen«. Er sei deshalb »froh« und »stolz«.

Seine noch ausstehende Regierungserklärung will der Ministerpräsident in der kommenden Woche anmelden. Fundament für so eine Erklärung sei ungefähre Klarheit über den Landeshaushalt. Dies scheint nun der Fall zu sein. Finanzminister Crumbach berichtet am Dienstag von den sogenannten Chefgesprächen, die er mit den einzelnen Ministern über die geplanten Ausgaben ihrer Ressorts geführt habe. So ein typisches Chefgespräch »bei Wasser und Brot« habe um 14.30 Uhr begonnen und bis 23.50 Uhr angedauert. Die Gespräche seien weitgehend im Konsens abgeschlossen, die wesentlichen Haushaltsentscheidungen nun bereits getroffen. Das müsse jetzt noch in ein Haushalts- und ein Haushaltsbegleitgesetz gegossen werden, was für das Finanzministerium ein erheblicher Aufwand sei.

Das alles werde aber »sehr zeitnah« geschehen, erklärt Crumbach. Er sagt: »Es liegt schwere Arbeit vor uns und wir beide sind schwere Arbeit gewöhnt. Wir können das. Wir mögen das. Ich formuliere es mal so: Wenn’s einfach wäre, könnten es auch die anderen.« Der Finanzminister versichert: »Seit’ an Seit’, wie es so schön heißt, schreiten wir voran.« Er spielt damit an auf ein bekanntes Lied der Arbeiterjugend aus dem Jahr 1914: »Wann wir schreiten Seit’ an Seit’/ und die alten Lieder singen/ und die Wälder widerklingen/ fühlen wir, es muss gelingen:/ Mit uns zieht die neue Zeit ...«

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Typisch für eine kleine Zeitenwende in der Landespolitik ist, dass die Koalition in nie dagewesener Art und Weise sogar kleinste Details miteinander abstimmt. »Alle Dinge, die zu besprechen wären, werden intern in der Koalition besprochen«, sagt BSW-Fraktionsgeschäftsführer Falk Peschel. Er kann diesem Verfahren, das als Gängelung durch die SPD verstanden werden könnte, etwas sehr Positives abgewinnen. »Wir sind neu auf der parlamentarischen Bühne«, erinnert Peschel. Da habe sich das BSW von der SPD-Fraktion »gut begleitet gefühlt«.

CDU-Fraktionschef Jan Redmann spricht derweil von einer »Planinsolvenz aus Mangel an Ideen«. Als einzigen konkreten Vorschlag der Koalition vermerkt er die nicht hundertprozentig bestätigte Absicht des Finanzministeriums, die Rücklagen für die Pensionen der Beamten aufzulösen.

Was die Opposition als Untätigkeit brandmarkt, nennt Ministerpräsident Woidke geräuschloses Regieren. »Ich wusste gar nicht, dass Herr Woidke so witzig sein kann«, versucht AfD-Fraktionschef Hans-Christoph Berndt darüber zu scherzen. Die Regierung sei unsichtbar, sie sei praktisch nicht da, meint Berndt. Er denkt: »Diese Regierung hat keine lange Lebensdauer mehr.« Die Koalition werde die Zeit bis zur nächsten regulären Wahl 2029 nicht überstehen, wahrscheinlich nicht einmal mehr das laufende Jahr.

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