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Berlin: Platz ohne Schild, Schild ohne Platz

Mit einer Kunstaktion nehmen Aktivisten die Benennung des Platzes der Märzrevolution in die eigene Hand

Christian Breuer von der Berliner Geschichtswerkstatt nimmt dem Bezirk die Beschilderung ab.
Christian Breuer von der Berliner Geschichtswerkstatt nimmt dem Bezirk die Beschilderung ab.

»Schade, dass die Polizei nicht da ist«, sagt Jürgen Karwelat. »Ich hätte gern eine Anzeige bekommen, in der als Ort des Geschehens der Platz der Märzrevolution aufgeführt wäre.« Karwelat setzt sich mit seinem Verein, der Berliner Geschichtswerkstatt, seit Jahren dafür ein, dass der Platz zwischen dem Hauptgebäude der Humboldt-Universität und dem Maxim-Gorki-Theater einerseits und den Straßen Kupfergraben und Am Festungsgraben andererseits eine Beschilderung bekommt. Die Geschichtswerkstatt betreibt »Geschichte von unten«, organisiert Veranstaltungen und Führungen und publiziert zu verschiedenen historischen Themen.

Karwelat und sein Kollege Christian Breuer haben am Montag, anlässlich des Jahrestages der Märzrevolution in Berlin, ein selbstgebautes Schild mitgebracht. Sie stellen es an dem Ort auf, von dem sie überzeugt sind, dass sich hier der Platz zur Erinnerung an die Revolution von 1848 befindet.

Schaut man in diverse Stadtpläne oder gibt in Online-Karten »Platz der Märzrevolution« ein, findet man ihn an ebenjener Stelle ausgewiesen. Vor Ort deutet jedoch nichts darauf hin, dass man auf einem Pflaster steht, das nach einem Volksaufstand benannt ist, der in Berlin in blutige Barrikadenkämpfe mündete. Die von Frankreich ausgehende Bewegung wollte zunächst bürgerliche Freiheitsrechte durchsetzen. In Berlin bekam sie Zulauf von Arbeiter*innen und Arbeitslosen, die über die bürgerlichen Forderungen hinaus noch eigene einbrachten.

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»Wir sind auf den Schultern der Revolution.« Karwelat verweist darauf, dass im Zuge der europaweiten Erhebung individuelle Freiheitsrechte durchgesetzt wurden, die sich noch in der deutschen Verfassung finden. Karwelat ist regelmäßig in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Mitte zu Gast, wenn das Bezirksparlament zum Thema berät. Dort hatte die Linksfraktion im Januar 2024 einen Antrag eingebracht, der das Bezirksamt, das für die Benennung und Kennzeichnung von Straßen und Plätzen verantwortlich ist, dazu verpflichten sollte, Schilder aufzustellen. Im November beschloss die BVV den Antrag einstimmig.

Zuvor war der Antrag allerdings im Kulturausschuss noch an einer entscheidenden Stelle geändert worden. So wurde das Bezirksamt am Ende ersucht, den Platz nicht nur angemessen, sondern »im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten angemessen zu beschildern«. Dass die BVV diesem Antrag im Konsens zustimmte, ist interessant. Schließlich hat das Bezirksamt seine eigene Rechtsauffassung zuvor kundgetan.

Gegenüber »nd« erklärte das Bezirksamt nun, dass es an seiner bisherigen Rechtsauffassung festhalte. »Der Platz der Märzrevolution ist nicht existent, daher werden auch keine Schilder mit diesem Namen aufgestellt. Die Straße ist mit Schildern ›Am Festungsgraben‹ korrekt beschildert.« Eine Beschilderung eines nicht existenten Platzes sei aus rechtlichen Gründen nicht möglich, auch wenn die BVV eine Beschilderung für geboten erachtet, hieß es weiter. Zwischen Rechtsamt, Vermessungsamt und Straßen- und Grünflächenamt sei diese Rechtsauffassung abgestimmt und bestätigt worden. Bereits im Dezember 2023 hatte ein Sprecher erklärt, der Name sei aus dem Liegenschaftskataster gestrichen worden, weil die Herstellung des Platzes aufgegeben wurde, als der Platz vor dem Brandenburger Tor in Platz des 18. März umbenannt wurde.

»Eine Beschilderung eines nicht existenten Platzes ist aus rechtlichen Gründen nicht möglich.«

Bezirksamt Mitte

Im Berliner Straßengesetz findet sich der Satz: »Die Benennung erfolgt durch Allgemeinverfügung und ist im Amtsblatt für Berlin bekannt zu machen.« Bereits 1998 wurde im Amtsblatt verkündet: »Im Bezirk Mitte von Berlin wird der noch zu gestaltende Platz zwischen Maxim-Gorki-Theater, Straße am Festungsgraben, Kastanienwäldchen, Humboldt-Universität zu Berlin und Dorotheenstraße in Platz der Märzrevolution benannt. Die Benennung wird am 18. März 1998 wirksam.« Damit war die Benennung per Verwaltungsakt vollzogen.

Dass der Platz hinterher nicht abschließend gestaltet wurde, sollte für seine Benennung unerheblich sein, vielmehr ist ausdrücklich bestimmt, dass ein Platz benannt wird, der erst noch zu gestalten ist.

Wie das BVV-Mitglied Leonard Diederich (Linke) »nd« erklärte, sei die Haltung des Bezirksamts zum verabschiedeten Antrag der BVV bisher noch nicht mitgeteilt worden. Eigentlich war eine Erledigung bis zum 1. März vorgesehen. Eine Beschilderung, wie sie sich die Geschichtswerkstatt wünscht, dürfte damit in weite Ferne gerückt sein. Sie hätte an einer kleinen Stelle kompensiert, dass das Stadtbild voll sei mit preußischen König*innen, Generälen und Schlachten, wie Jürgen Karwelat sagt.

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