Neu-Hohenschönhausen: Demo gegen »rechten Terror«

200 Menschen demonstrieren im Ortsteil von Lichtenberg gegen rechte Gewalt

  • Robin Maxime Pohl
  • Lesedauer: 4 Min.
Rund 200 Menschen demonstrierten am Mittwochabend in einem Kiez, wo linke Schüler*innen von Neonazis gejagt wurden.
Rund 200 Menschen demonstrierten am Mittwochabend in einem Kiez, wo linke Schüler*innen von Neonazis gejagt wurden.

Es ist ein ungewohntes Bild auf dem Vorplatz des S-Bahnhofs Wartenberg am frühen Mittwochabend. In diesem Teil Neu-Hohenschönhausens, am Ende der S-Bahnlinie 75 zwischen elfgeschossigen Plattenbauten, finden sonst kaum Demonstrationen statt. Heute aber sind rund 200 Menschen gekommen. Sie wollen »den Rechten zusammen entgegentreten« – so steht es auf dem signalroten Fronttransparent.

Aktueller Anlass für die Demonstration ist ein Neonazi-Übergriff vor knapp zwei Wochen. Am 7. März jagten 15 Neonazis in der Dunkelheit eine Gruppe Schüler*innen im Stadtteil durch die Straßen. Ihnen wurde gezielt aufgelauert, weil sie sich an ihrer Schule beispielsweise für einen Lehrer*innenstreik einsetzten. Nur mit Glück konnten die Schüler*innen in der Nacht unverletzt entkommen.

Mit ihren Erfahrungen gingen die Betroffenen an die Öffentlichkeit – allen voran der 16-jährige Leon. Er und seine Freund*innen wollten nicht mehr zusehen, wie Rechte an ihrer Schule und in ihrem Wohnumfeld immer selbstbewusster auftreten. Der Vorfall zeigt beispielhaft eine neue Qualität extrem rechter Gewalt im Stadtteil und sorgte für viele Schlagzeilen sowie öffentliche Solidaritätsbekundungen.

Gerade im Plattenbau-Kiez schien der Vorfall für viele Menschen eine Art Weckruf zu sein, um sich offen gegen eine rechte Raumnahme zu positionieren. Die Demonstration am Mittwochabend bot dafür einen Anlass. Aufgerufen hatten verschiedene linke Jugendgruppen aus Hohenschönhausen. Gekommen ist eine bunte Mischung verschiedener Menschen – viele von ihnen aus dem Stadtteil. »Gemeinsam können wir die Gefühle von Bedrohung und Ohnmacht überwinden, die es hier oftmals im Alltag gibt«, erklärte eine Teilnehmende im Gespräch mit »nd«.

Auch 15 Lehrkräfte von Leons Schule, dem »Grünen Campus Malchow«, schlossen sich der Demonstration an. Gegenüber »nd« zeigten sie sich erschrocken über die eskalierende Gewalt von rechts, die sich in Auseinandersetzungen an der Schule zeige. Dadurch sehen die Lehrer*innen auch ihr eigenes Engagement für ein demokratisches Miteinander gefährdet. Alle sind sich einig, dass es notwendig ist, jetzt ein klares Zeichen zu setzen: »Wichtig ist, dass Lehrkräfte hier sind und sich positionieren und solidarisch zeigen mit Leon gegen so eine Gewalt.«

Redebeiträge auf der Demonstration zeigten, inwieweit der Übergriff auf Leon und seine Freund*innen kein Einzelfall war. Gerade an Schulen werden Neonazis in den letzten Monaten zunehmend aktiver. Das Problem sind nicht nur organisierte Gruppen, die gezielt junge Menschen mobilisieren. Es geht ebenso um Jugendliche, die im Zuge eines gesellschaftlichen Rechtsrucks ermutigt werden, offen als Neonazis aufzutreten. So erzählt ein Lichtenberger Schüler, der sich in der Linkspartei engagiert, von täglichen Anfeindungen wegen seiner politischen Arbeit. Schüler*innen aus Karow beschreiben, wie die Neonazi-Partei Dritter Weg an ihrer Schule immer aggressiver auftritt.

Auch in Hohenschönhausen lassen es sich einige rechte Jugendliche nicht nehmen, die antifaschistische Demonstration zu provozieren. Sie beleidigen Teilnehmende am Startpunkt wegen eines Rollstuhls und rufen immer wieder »Scheißzecken«. Einige von ihnen scheinen noch keine 14 Jahre alt zu sein. Nach Auskunft von Teilnehmenden der Demonstration waren auch Schüler*innen vom »Grünen Campus« unter den rechten Störer*innen.

Während der Störungen schauen die Polizeikräfte weg oder schubsen Demonstrierende, die sich über die Neonazis aufregen. In seiner Rede erklärt Leon, dass er die Polizei nach dem Übergriff auf ihn kaum als Unterstützung wahrgenommen habe. Die hinzugerufenen Beamten seien erst spät und trotz der hohen Zahl von Angreifern nur zu zweit zum Tatort gekommen. Auch die Personalien der Tatverdächtigen seien nicht aufgenommen worden. Das bestreitet die Pressestelle der Berliner Polizei jedoch gegenüber »nd«.

»Wer gegen den Rechtsruck kämpfen will, muss das überall, egal ob an der Schule, in der Uni oder im Betrieb.«

Leon (16) 
Schüler, der von Neonazis gejagt wurde

Am Mittwoch wird Leon von ein paar Beamten vom polizeilichen Staatsschutz in Zivilkleidung beobachtet. Ihr Verhalten erweckt den Eindruck, als sei er die Gefahr und nicht die beleidigenden Störer*innen der Demonstration. Für Leon ist klar: »Wir müssen jetzt Selbstschutz organisieren, um rechte Angriffe zu verhindern.« Und es müsse gemeinsam getan werden, ergänzt er. »Wer gegen den Rechtsruck kämpfen will, muss das überall, egal ob an der Schule, in der Uni oder im Betrieb.«

Die gemeinsame Solidarität in Neu-Hohenschönhausen gegen Neonazi-Gewalt schafft auch neue Freiräume, in denen sich beispielsweise queere Jugendliche die Straßen in ihrem Kiez nehmen. Das ungewohnte Geschehen erregt die Aufmerksamkeit der Anwohnenden. Beim Blick von ihren Balkonen schauen einige eher skeptisch, manche pöbeln, andere zeigen deutlich ihre Sympathie und jubeln vom Balkon. Die Demonstration wird vermutlich nicht die letzte Aktion im Stadtteil gewesen sein.

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