- Kommentare
- Aufrüstung
Das Grundgesetz verpflichtet auf Frieden
Exzessive Aufrüstung ist mit einem der bedeutendsten Prinzipien der Bundesrepublik, dem Friedensgebot, nicht vereinbar. Ein Gastbeitrag
Mit dem Begriff »Schockstrategie« beschrieb Naomi Klein in ihrem gleichnamigen Buch die Beobachtung, dass überwältigende äußere Ereignissen dafür genutzt werden können, um in ihrem Windschatten politisch unpopuläre Maßnahmen umzusetzen. Was Klein anhand marktradikaler »Schocktherapien« im Globalen Süden beschreibt, erlebte die bisher kriegsunwillige deutsche Öffentlichkeit in kurzer Folge zwei Mal in ihrem Verhältnis zum Militär. War es unter dem »Schock« des russischen Überfalls auf die Ukraine möglich, umfangreiche Waffenlieferungen in Kriegsgebiete als moralisch notwendig zu besetzen, wird unter dem »Schock« eines bizarren Gesprächs zwischen den Präsidenten Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj die Notwendigkeit einer extremen Erhöhung des Militärbudgets im kollektiven Bewusstsein implementiert.
Konkret hat in dieser Woche eine mögliche zukünftige Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD unter Beteiligung der Grünen eine Reform der in der Verfassung verankerten Schuldenbremse im Bundestag beschlossen. Ausgaben für Militär, Zivil- und Bevölkerungsschutz sowie für die Nachrichtendienste über einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts fallen nun nicht mehr unter das Verbot der Neuverschuldung. Außerdem wurde ein Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro für Infrastruktur und Klimaneutralität bis 2045 verabschiedet. Nach dem Bundestag braucht es noch im Bundesrat verfassungsändernde Mehrheiten.
- Andreas Engelmann ist Professor für Rechtswissenschaft an der University of Labour in Frankfurt am Main und Bundessekretär der Vereinigung Demokratischer Jurist*innen (VDJ).
- Rainer Rehak ist Informatiker und Philosoph am Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft sowie am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Er ist Ko-Vorsitzender des Forums Informatiker*innen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF).
Das Vorgehen begegnet demokratischen und haushaltspolitischen Bedenken, weil die Schuldentilgung und Zinszahlungen für steigende Rüstungsausgaben zukünftige Haushaltsspielräume begrenzen werden und das Budgetrecht des neugewählten Parlaments faktisch stark eingeschränkt wird. Eine Kritik, die bisher nicht ausreichend artikuliert wurde, lautet, dass die Ausrichtung auf »Kriegstüchtigkeit« in Konflikt mit einem der bedeutendsten Prinzipien der Bundesrepublik, dem Friedensgebot des Grundgesetzes, steht. Das Friedensgebot ist nicht bloß unverbindliche staatsrechtliche Lyrik, sondern ein normatives Gebot, wie die Gebote der Rechtsstaatlichkeit und des effektiven Rechtsschutzes. Es setzt der Politik einen verbindlichen, gerichtlich überprüfbaren Rahmen.
Unter dem Friedensgebot des Grundgesetzes versteht man die Pflicht, den Staat so einzurichten, dass er auf die Erhaltung, Verstetigung und Ausweitung von Frieden gerichtet ist. Dieser »Frieden« wird im Grundgesetz so beschrieben, dass nicht nur ein aktiver »Angriffskrieg«, sondern nach Artikel 26 GG jede »friedensstörende Handlung … verfassungswidrig und unter Strafe« zu stellen ist. Das »Gewaltverbot« der UN-Charta genießt über Artikel 25 GG einen verbindlichen Rechtsstatus und nach Artikel 24 GG kommen für die Bundesrepublik als Bündnis nur solche »Systeme kollektiver Sicherheit« in Frage, die »zur Sicherung des Friedens« dienen.
Streitpunkt schon im Parlamentarischen Rat
Gegenstand der »Schockstrategie« ist es gegenwärtig, den Frieden als etwas zwar Erstrebenswertes, aber Weltfremdes, jedenfalls nur im Wege intensiver Militarisierung zu Erreichendes zu verankern. Aber die Diskussion zwischen Friedensgebot und äußerer Bedrohung ist so alt wie das Grundgesetz selbst. Krieg war 1948 keine fernliegende Erzählung aus grauer Vorzeit oder anderen Weltgegenden, die man aus »Dekadenz« außer Betracht ließ, sondern die zerstörerische Erfahrung aller Europäer. Auf einfache Ausreden für den Militarismus fiel deshalb niemand herein. Carlo Schmid argumentierte im Parlamentarischen Rat gegen eine Verteidigungsarmee: »Wer in dieser Welt hat denn je behauptet, er treibe Kriegsrüstungen, um einen Angriffskrieg zu machen? Es hat noch niemand etwas anderes gesagt, als dass seine Kriegsrüstungen dazu dienten, einen Verteidigungskrieg vorzubereiten.« Zwar gab es auch im Parlamentarischen Rat Stimmen, die beschworen, dass sich »kein Volk seiner eigenen Verteidigung entziehen« könne, trotzdem trat die Bundesrepublik mit aktiver Abrüstung »in Vorleistung«.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Seit 1956 Streitkräfte eingerichtet wurden, ist ihr Einsatz unter einen strengen Erlaubnisvorbehalt gestellt, die Bundeswehr dient nach Artikel 87a GG der »Verteidigung«. Im Gegensatz zu einer Rhetorik der Ausweitung auf »vorbeugende Erstschläge« oder eine »Vorwärtsverteidigung« definiert Artikel 115a GG den Verteidigungsfall unzweideutig als Situation, in der »das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht«. Bis heute beinhaltet das Grundgesetz den normativen Auftrag, die Existenz einer Streitkraft mit dem Friedensgebot in praktische Konkordanz zu bringen. Darunter verstehen Juristinnen und Juristen seit Konrad Hesse einen sensiblen Ausgleich von gleichrangigen Verfassungsgütern, von denen nicht eines das andere verdrängt, sondern die zu einer optimalen wechselseitigen Geltung gebracht werden müssen.
Rückkehr des Militarismus
Der ausgerufene Primat der Aufrüstung und der exzessive Einsatz von öffentlichen Mitteln zu diesem Zweck verschiebt dieses prekäre Gleichgewicht in die Richtung einer Rückkehr des Militarismus. Deutschland hatte bereits zwei Mal eine kriegstüchtige Armee. Und lange vor dem Blutvergießen im Krieg beginnt die Militarisierung im Inneren. Wie sensibel die Kriegsgeneration mit dem Thema umging, lässt sich erneut an Carlo Schmid erkennen, der selbst Turnvereine verbieten wollte, »in denen Wehrsport betrieben wird«. Er sah darin eine Rückkehr des Militärischen und man wisse, »wohin diese Dinge führen«.
Die Friedens- und Konfliktforschung sagt, dass jedem Krieg 1000 politische Fehler vorausgehen, egal ob aus nationalistischem oder wirtschaftlichem Kalkül, aus religiösem Exzeptionalismus oder einfach für die Versorgung mit billigem Gas. Anstatt nun aber Anstrengungen zu unternehmen, um die 999 Fehler besser zu verstehen, ihnen den sozialen, ökonomischen und politischen Boden zu entziehen, sie also zu verhindern, wird auf die letzte Auswirkung – den Kriegsfall – gestarrt und er teils fast schon beschworen. Das Konzept des »positiven Friedens« des Friedensforschers Johann Galtung zeigt Hintergründe und Wege zur Kriegsvermeidung auf, zu denen unbegrenzte Aufrüstung nicht gehört.
Statt also Ausreden zu suchen, warum Frieden zwar wünschenswert, aber leider nicht zu machen ist, gilt es die Einsicht zu verteidigen, dass das Grundgesetz die Verfassung eines Landes sein sollte, das dem Frieden dient und nicht den Krieg vorbereitet. Mit diesem normativen Gebot sind die Pläne für eine exzessive Aufrüstung nicht vereinbar. Sie gefährden die Sicherheit, der zu dienen sie vorgeben.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.