Ein morbides Wohnzimmer

In Berlin beschäftigt sich Jonas Höschl mit dem RAF-Attentat auf Siegfried Buback 1977 in einer Ausstellung als »Point Of No Return«

  • Vincent Sauer
  • Lesedauer: 4 Min.
Heile Welt, durchsetzt von Gewalt, das war die BRD der 70er Jahre: ein Blick in die multimediale Ausstellung
Heile Welt, durchsetzt von Gewalt, das war die BRD der 70er Jahre: ein Blick in die multimediale Ausstellung

Eine halbe Tonne wiegt das feuer-, blut-, arbeiterkampfrote Motorrad des japanischen Traditionsunternehmens Suzuki, Modell GS 750, am Eingang von Jonas Höschls Ausstellung »Point of No Return«. Es befindet sich in der Galerie von Anton Janizewski am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin, wo einst das große Räuberrad der Volksbühne stand; Touristen ziehen vorbei, knipsen das geile Teil, von der Torstraße hört man Raser.

Höschls Suzuki ist kein Retro-Kleinod für Motorsportfreunde, sondern eine genaue Nachbildung des Vehikels, auf dem 1977 zwei Mitglieder der Roten Armee Fraktion fuhren und und von dem aus diese den Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seine zwei Bodyguards Wolfgang Göbel und Georg Wuster im Auto erschossen. Bis heute ist unklar, wer abdrückte, sie nannten sich »Kommando Ulrike Meinhof«. Das Chrom, der Ledersitz, der rote Lack – hat man die Geschichte im Hinterkopf, wird hieraus ein merkwürdiges Geschöpf. Ein ziviles Fahrzeug, ein Massenprodukt der japanischen Wirtschaft, das den Tod brachte.

Auf der Rückseite des gleichfalls roten Ausstellungsdisplays aus Holz ist eine Video-Arbeit positioniert, in der Bilder aus Katalogen, Gebrauchsanleitungen für glückliche Motorrad-Inhaber des wirtschaftlich prächtig aufgestellten Westens der 70er Jahre montiert werden mit dem abstrakten Charme technischer Zeichnungen sowie Fotos von der Waffe, mit der Buback erschossen wurde, und Zeitungsausschnitten. Zwei Wochen nach der Tat erschien in der die Zeitschrift »Motorrad« eine Anzeige, in der Suzuki für seine »Sportskanone der Scharfschützen« warb.

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Erinnerungen ziehen hier vorbei aus der Werbung, der Tagespresse und dem Reparaturhandbuch für das Motorrad. Schnelle Schnitte, viele Bildformate und man wird unbewusst durchgerührt: heile Welt, historische Gewalt, Verbraucheralltag der Vorgängergeneration. Hinzu kommen die Lyrics des Songs »Point Of No Return« von Gene Daniels, entnommen dem Soundtrack des Films »Scorpio Rising« von Kenneth Anger aus dem Jahre 1963. In diesem geht es um schwule Männer in Lederjacken (vergleiche: Andreas Baaders Kleidung) und die Erotik des Motorrads.

Höschls Ausstellung liegt eine gründliche Recherche zugrunde. Der 1995 in Regensburg geborene Fotograf und Konzeptkünstler, der 2022 ein Buch über die »Politik von Medienbildern« veröffentlicht hat, war für diese Ausstellung in Stuttgart unterwegs, wo bekanntlich die erste Generation der RAF im Stammheimer Knast den Tod fand. Er hat eine Frottage des Grabsteins von Andreas Baader und Gudrun Ensslin angefertigt – Jan-Carl Raspe wird ausgespart –, in der die Namen Andreas und Gudrun wie ein eingeritzter Liebesbeweis auf einem Baum oder ein gespenstisches Omen in Reifenspuren zu lesen sind.

Ein Tageslichtprojektor wirft ein »Merkblatt« an die Wand, auf dem Vorsichtsmaßnahmen und Verhaltensregeln verzeichnet sind, die das Bundeskriminalamt an Personen ausgab, denen sie zutrauten, RAF-Entführungsopfer zu werden. Ein Leben nach Protokoll aus dem Terrorschutz. Ähnlich antiquiert ist das manchen aus Archiven und Bibliotheken bekannte Medium Mikrofilm. Höschl fand einen, der die Einweihung des Denkmals für Buback und seine Personenschützer zeigt: Trauerritual der Familie und unpersönlicher Staatsakt auf Mini-Bildern, Scherpen in Schwarz-Rot-Gold auf Stein in Karlsruhe, wo die Männer erschossen wurden.

An der Wand gegenüber ist eine Arbeit angebracht, die das Gefühl unheimlicher Heimeligkeit, Privatheit und Einsamkeit potenziert: die Schallplatte »Desire« von Bob Dylan, die Ulrike Meinhof wohl in der Nacht ihres mutmaßlichen Selbstmords im Mai 1976 hörte, auf das Glas gedruckt ein Bild von Dylan und eins des schwarzen Boxers Rubin »Hurricane« Carter, dem Dylan auf diesem Album ein Lied widmete, nachdem diesem ein Mord aus rassistischen Gründen unterstellt worden war. Und dann ist unter dem Glas auch noch eine Seite aus einer Gefangenenzeitschrift zum Papierflieger geknickt — man denke an die Flugzeugentführung. Höschl nennt dieses Ensemble »18. Oktober 1977«.

Die Glorifizierung der RAF-Mitglieder als Action-Helden, ihre Verteufelung als selbstgerechte Mörder, alle ideologischen Zurechtstutzungen umgeht Jonas Höschl in seiner subtilen wie aufwühlenden Ausstellung. Geschichte schwirrt als Abfolge von Gewalt, als Trauer und Verdrängung, Warenwerdung und Berichterstattungsfrage durch die Galerie Anton Janizewski. Wenn man bedenkt, dass Daniela Klette als Angehörige der letzten RAF-Generation im Gefängnis sitzt, nachdem Investigativjournalisten sie mit einem Gesichtserkennungsprogramm in einem Capoeira-Studio ausfindig gemacht haben, was für die Journalisten wohl eher spannend als moralisch notwendig war, ist über den Zusammenhang von Medien-Allgegenwart und Fahndungsverlangen nachzudenken. Einzeltäter-Terrorismus setzt aber auch keine Bewegung in Gang. 1977 und die Folgen werden ein morbides Wohnzimmer. Jonas Höschl gelingt eine anregende Auseinandersetzung mit dem Medienkrieg um, gegen, für die RAF.

Jonas Höschl: »Point of No Return«. Galerie Anton Janizewski, Weydingerstraße 10, Berlin, bis 19. April

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