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Neonazi-Aufmarsch am Berliner Ostkreuz blockiert
Von Ex-AfD-Mitglied Ferhat Sentürk herbeigerufene Rechtsextreme mussten am Friedrichshainer Bahnhof Ostkreuz Stunden lang im Schatten stehen
Zwei Jungs, noch ohne Bartflaum. Eine Glatze, der andere Kopf auf drei Millimeter Bürste rasiert. Die viel zu weite Tarnfleckhose muss bei dem einen durch zwei Gürtel und weit über der Hüfte gehalten werden, als stamme sie vom ausgewachsenen Vater. So posieren sie am Samstag vor einem Transparent mit der vergleichsweise zurückhaltenden Aufschrift »Für Recht und Ordnung: Gegen jeden Linksextremismus«.
Noch wissen sie nicht, dass sie hier auf der Hauptstraße noch Stunden werden stehen müssen, bevor sie von der Polizei zur Abreise am Ostkreuz geleitet werden. Die geplante Machtdemonstration rechter und rechtsextremer Gruppierungen aus Sachsen, Thüringen und Berlin, am Samstag um 13 Uhr durch den traditionell antifaschistisch geprägten Kiez rund um die Rigaer Straße im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zu laufen, wird etwa drei Stunden später floppen.
Die Erzählung der Bedrohung durch Linksextremisten versucht der Anmelder der Demonstration, der ehemalige Aachener AfD-Regionalpolitiker Ferhat Sentürk, seit einigen Monaten in Berlin zu platzieren. Bereits zum dritten Mal mobilisiert er rechte Jugendliche aus der ganzen Bundesrepublik, um hier zu verkünden: Linke seien die wahren Faschisten, die den Menschen, ihm und seinen Leuten, ihre Freiheiten nähmen und sie bedrohten. Seine Leute, das sind an diesem Tag neben den Jungs vor dem Transparent zum Beispiel die rechtsextreme Gruppe »Chemnitzrevolte«, die vom sächsischen Verfassungsschutz beobachtet wird. Oder die neue Gruppierung »Kampfbrigade Berlin«. Oder auch zahlreiche Fans der Rechtsrock-Band »Kategorie C«, erkennbar am Bandshirt mit der Aufschrift »Deutsche Jungs«.
»Kategorie C«-Sänger darf grölen
Dessen Sänger Hannes Ostendorf darf anfangs ein paar seiner Lieder ins Mikrofon grölen, obwohl es einen Antrag dagegen beim Verwaltungsgericht gab und er und seine Band vom Bremer Verfassungsschutz als »gewaltbereite Rechtsextremisten« eingestuft werden. Wer nicht Aufdrucke organisierter Gruppen spazieren trägt, hat Triskelen, Schwarze Sonnen oder eindeutige Runenzeichen auf der Brust – alles eindeutige Szenemerkmale, die gerade noch abgewandelt genug sind, um nicht als Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu gelten.
Es entbehrt also nicht einer gewissen Komik, wenn Sentürk gegen 14 Uhr vor dieser von ihm organisierten Kulisse etwas von der gefährlichen Antifa, der großen Unsicherheit im Land und davon erzählt, dass es ihnen doch nur darum gehe, »die Bevölkerung zu schützen«. Die bekannten Buzzwords sind »kriminelle Ausländer abschieben« und »an der Grenze aufhalten«. Jene von der AfD normalisierte Rhetorik also, die mittlerweile von Merz über Scholz bis Habeck parteiübergreifend bedient wird. Hinzu kommt noch ein diffus formuliertes Bild von einer gefährlich agierenden Antifa.
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Ähnliche Sätze sind an diesem Tag von vielen Teilnehmenden zu hören. So versuchen sich heute junge und Social Media affine rechtsextreme Gruppen selbst zu verharmlosen, wenn die Mikrofone direkt auf sie gerichtet sind, indem sie aufgreifen, was mittlerweile im politischen Mainstream verhandelt wird. Um sich dann umzudrehen und in den gewaltbereiten »Zecken boxen!«-Sprechchor einzustimmen. »Wir kriegen euch alle«-Gebrüll wechselt sich mit SS-Liedern aus den Lautsprechern und Hitlergrüßen ab. Nach Angaben der Polizei vor Ort gab es über 25 »freiheitsentziehende Maßnahmen« aufgrund dieses verfassungswidrigen Zeichens, wegen Bedrängungen von und Handgreiflichkeiten gegen Pressevertreter*innen oder wegen unerlaubter Vermummung.
Blockade verdirbt die Laune
Gegen 15 Uhr verhindert eine Blockade Friedrichshainer Antifaschist*innen nun schon seit zwei Stunden, dass die auf etwa 850 Teilnehmenden angewachsene Demonstration loslaufen kann. Für einen Teilnehmer der Beweis für die »Gewalt der Antifa«, vor denen die Polizei die Demo »nicht schützen« könne. Plötzlich ist von einer Auflösung der Demonstration die Rede. Polizeisprecherin Anja Dierschke widerspricht jedoch. Die Demo sei nicht aufgelöst, die Route könne aber aufgrund von Blockaden nicht wie geplant begangen werden. Veranstalter Sentürk müsse letztlich entscheiden, wie er weiter verfahren möchte.
Gegen 16 Uhr entscheidet er nach Absprache mit der Polizei, bis zu den ersten Gegenprotesten auf Höhe der Bushaltestelle am Ostkreuz zu laufen. Das sind nicht einmal 100 Meter. So kommt der Demozug letztendlich direkt vor den Aufgängen der S-Bahn-Station zu stehen, von wo aus die Teilnehmenden angereist sind. Um kurz vor 17 Uhr kommt schließlich die Durchsage, dass die Demonstration durch den Versammlungsleiter beendet worden sei, nachdem die Polizei klargestellt hatte, dass das Ende der Strecke bereits erreicht sei. In diesen Minuten bekommt die friedliebende, bürgerliche Fassade Ferhat Sentürks kurz Risse. Was er von einer friedlichen Auseinandersetzung mit Gegenprotesten hält, lässt er aufgebracht einen Polizeibeamten wissen: »Da müsst ihr durchgreifen, einmal mit dem Knüppel drüber!«
In jedem Fall aber hat Sentürk sein Ziel nicht erreicht, durch seine Präsenz im linken Kiez für heftige Gegenreaktionen zu sorgen und sich so als friedlich und bürgerlich zu inszenieren. So jedenfalls formulierte er es ein paar Stunden zuvor, bei einer Durchsage: »Seid vorbildlich. Zeigt denen, dass nicht wir das Problem sind. Zeigt es der ganzen Bundesrepublik.« Trotzdem wird deutlich, dass hier neue Netzwerke mit neuen Gruppierungen gebildet werden, die über die vergangenen Monate gewachsen sind. Noch vor wenigen Monaten kamen bei Sentürks erster Demo in Friedrichshain nur 80 Personen zusammen, bei der zweiten schon 150. Am Samstag waren es schließlich 850 Menschen.
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