Ein Wessi sucht die DDR

Daniel Biskup fahndete mit seiner Kamera nach Spuren eines verschwundenen Staates

  • Frank Schumann
  • Lesedauer: 4 Min.
Das stilvolle Eingangsportal zum »nd«-Gebäude eröffnet den Fotoband von Daniel Biskup.
Das stilvolle Eingangsportal zum »nd«-Gebäude eröffnet den Fotoband von Daniel Biskup.

Das Cover ist grau. Auf den ersten, oberflächlichen Blick erkennt man eine Wand, von der die Farbe blättert. Auf den zweiten die Konturen von Hammer, Zirkel und Ährenkranz. Dort muss also mal was gewesen sein. »Spuren« steht in großen Lettern dazu.

Dieses Foto ist gleichsam ein Programm. Der Spurensucher und Fährtenleser heißt Daniel Biskup. Vier Jahre lang war der Fotograf aus dem Westen im Osten unterwegs und hat nach optischen Zeichen geforscht, die Nachricht geben von der Existenz eines untergegangenen Staates. Schriftzüge, Wandbilder, Bau- und Kunstwerke, Fahnenhalterungen … Dabei machte er erstaunliche Beobachtungen. Nicht nur in Forst, wo er dieses Titelfoto fand.

In Zeitz warb an einer frisch verputzten Häuserwand in leuchtenden Farben der VEB Zemag Zeitz für seine Hebefahrzeuge, die Takraf in vier Kontinente exportierte. Den volkseigenen Betrieb gibt es nicht mehr, das Kombinat Takraf, zu dem er gehörte, ist auch schon lange Geschichte. Wie die DSF, die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft.

In Zschornewitz, einem Ortsteil von Gräfenhainichen in Sachsen, entdeckt der umtriebige Forscher eine Straße der DSF – und wie er herausfand: Weitere 47 tragen diesen Namen auch. Im Osten, der bis 1990 einmal DDR hieß. Und in 36 Orten gibt es MTS-Straßen. Selbst Ex-DDRlern dürfte dieses Kürzel kaum noch etwas sagen: Es steht für Maschinen-Traktoren-Station, so genannt die Stützpunkte der Arbeiterklasse bei der Kollektivierung der Landwirtschaft – die Generation Tinko, die Strittmatters Buch in der Schule las, kann damit etwas anfangen. Spätere Generationen wohl schon nicht mehr.

Der Fotograf Daniel Biskup präsentiert sein neues Buch.
Der Fotograf Daniel Biskup präsentiert sein neues Buch.

Oft sieht man auf den farbigen Abbildungen leer stehende Wohnblöcke mit vernagelten Fenstern, vor denen bisweilen Birken wachsen. Mitunter erreichen sie schon das zweite Geschoss; zu DDR-Zeiten war das die erste Etage.

Nach 1990 wurde anders gezählt. Auch in Lauchhammer. Einst ein wichtiger Industrieort, Eisengießerei und Schwermaschinenbau, 1952 wurde hier die weltweit erste Braunkohlenkokerei angefahren. Alles dicht, so wie die Häuser, in denen früher um die 25 000 Menschen lebten – heute noch die Hälfte. Die Jungen gehen weg, nur wir Alten bleiben, sagte ihm eine Frau in Sebnitz, einem der 120 Orte, die Biskup durchstreifte. Ihre bitter-sarkastische Feststellung trifft auf viele andere Gemeinden und Städte zu. Auf Eisenhüttenstadt zum Beispiel, dessen Einwohnerschaft sich mittlerweile ebenfalls halbiert hat. Von einmal über 50 000.

Der Bildband ist keine »Tour de Nostalgie«, sondern eine zeitgeschichtliche Dokumentation – im weitesten Sinne eine optische Bestandsaufnahme, wo sich der Osten im 35. Jahr der deutschen Einheit befindet. Die Bilder kommentieren sich selbst, die kurzen Bildtexte sind frei von Polemik: sachliche Informationen, Mitteilungen über Hintergrund und Kontext.

Biskups Buch hat Gewicht, was auch wörtlich zu verstehen ist: Es wiegt 2044 Gramm, zu DDR-Zeiten war das ein Vier-Pfund-Brot, es kostete 1,04 Mark. Natürlich subventioniert. Wie das vorliegende Buch. Hätten nicht Sponsoren 28 000 Euro für Satz und Druck zur Verfügung gestellt, würde es dieses opulente Werk nicht geben. Der Fotograf arbeitete im Selbstauftrag, also pro bono. Der gebürtige Bonner, Jahrgang 1962, hat in Augsburg Geschichte und Politik studiert, seit den späten 80er Jahren interessierte er sich – im Unterschied zu seinen Landsleuten – für den Osten. Das war auch der Grund unserer Bekanntschaft.

1990/91 arbeitete ich in der Chefredaktion der »Jungen Welt« und er für uns. Biskup hielt fest, was man später beschönigend »gesellschaftliche Transformation« nannte. Sein besonderer Blick fiel auch in den Chefetagen der großen Verlagshäuser im Westen auf. Und die buchten ihn. So lichtete er die Häuptlinge auf der Weltbühne ab: von Gorbatschow bis Bush, den Papst inklusive. Und natürlich alle Kanzler. So kam er in die erste Reihe der deutschen Fotografen. Selbst Egon Krenz ließ ihn für das Coverfoto des dritten Bandes seiner Memoiren in sein Wohnzimmer.

Die erste Doppelseite, vor dem Vorwort, zeigt die Eingangstür des Redaktions- und Verlagshauses am Berliner Franz-Mehring-Platz mit den Initialen »N« und »D«. Und in der Mitte gibt es einige Motive von der Veranstaltung im Berliner Kino »Babylon«, die die »Junge Welt« zum 75. Jahrestag der DDR organisiert hatte. »Was bleibt?« war sie überschrieben. Biskup gibt die optische Antwort auf diese Frage.

Daniel Biskup: Spuren. Verlag Salz und Silber, 288 S., 400 Fotos, geb., 45 €.

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