- Politik
- Gefängnisbrand in Mexiko
Die Wiedergutmachung bleibt aus
Die juristische Aufarbeitung des Gefängnisbrandes mit 40 Toten in Ciudad Juárez kommt nicht voran
Ihm ziehe sich die Brust zusammen, wenn er an jene Nacht am 27. März 2023 zurückdenke, so der Überlebende Stefan Arango aus Venezuela. »Diese Tragödie hätte vermieden werden können. 40 Familien weinen um ihre Söhne, Männer, Väter, Brüder.« Als Geflüchtete aus Protest, weil es noch nicht einmal Wasser gab, eine Matratze anzündeten, war Arango zur Zellentür gelaufen: »Helfen Sie uns, bitte lassen Sie uns nicht hier sterben«, sagte er zu einem Beamten. Dieser antwortete nur: »Wärt ihr besser in eurem Land geblieben.«
Die Angehörigen der Migrationspolizei versuchten nicht einmal, die Zelle zu öffnen. Sie ließen die 67 Eingesperrten zurück. Nur 15 Frauen sperrten sie die Türe auf, bevor sie das in Flammen stehende Gebäude verließen. Die Männer aus verschiedenen mittel- und südamerikanischen Ländern versuchten, aus der total überbelegten Zelle ins Bad zu gelangen. »Alle schrien«, erinnert sich Arango. Aus Nervosität habe er die Dusche nicht ganz öffnen können, als Rauch und Flammen näherkamen. Als er wieder zu Bewusstsein kam, lag er im Hof des Abschiebegefängnisses. Von der Feuerwehr, die zufällig vorbeigekommen war, in Sicherheit gebracht; aber für tot gehalten und mit einer Rettungsdecke zugedeckt.
Ganz Mexiko ist zu einer Mauer geworden
US-Präsident Donald Trump hatte in seiner ersten Amtszeit den mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador gezwungen, die obersten Posten der Migrationspolizei mit Militärs zu besetzen und Menschen auf dem Weg nach Norden weit vor den USA abzufangen. Trump hatte das US-Asylrecht faktisch außer Kraft gesetzt. Unter Joe Biden wurde es digitalisiert und die mexikanischen Grenzstädte waren mit Geflüchteten gefüllt, die auf einen Asyltermin warteten. »Vor den Vereinigten Staaten steht die Mauer, aber heute ist ganz Mexiko zu einer Mauer geworden, eine Hölle, die wir durchqueren müssen«, so Stefan Arango.
Gemeinsam mit weiteren Überlebenden kämpft Arango »für Erinnerung, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung«. Dabei werden sie von drei mexikanischen Nichtregierungsorganisationen unterstützt. Integrale Menschenrechte in Aktion (DHIA) ist eine von ihnen. »Bis heute ist es nicht zum Verfahren gekommen«, berichtet die Anwältin Gabriela Romero. Der Direktor der Nationalen Migrationspolizei, Francisco Garduño, hat niemals sein Amt niederlegen müssen und wurde nun sogar vom Verfahren freigesprochen. »Gerechtigkeit scheint in diesem Prozess selektiv zu sein«, konstatiert Romero. Das sei erschreckend angesichts des Ausmaßes der Tragödie, die sich ereignet hat.
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»Menschen verloren ihr Leben und anderen wurde das ihre auf bedauerliche Weise zerstört. Einem der Opfer wurde beispielsweise ein Arm amputiert, andere sitzen im Rollstuhl oder haben Organschäden.« Sie hätten eine Entschädigung erhalten, aber keine angemessene, die ihnen ein lebenslanges Auskommen gibt. Einige der Überlebenden seien zu ihren Familien in ihre Herkunftsländer zurückgekehrt. Andere haben in den USA medizinische Betreuung erhalten und dort Asyl beantragt. Unter Trump ist ihr Asylprozess nun gefährdet.
Neue Präsidentin hält an altem Migrationschef fest
Unter der Regierung der seit 1. Oktober 2024 amtierenden mexikanischen Präsidentin Claudia Sheinbaum blieb Garduño überraschenderweise nicht nur weiter im Amt, sondern verhandelt nun auch für Mexiko mit der Regierung von Donald Trump die Abschottungspolitik der USA. Anscheinend zog Sheinbaum es vor, mit ihm einen erfahrenen Hardliner im Amt zu haben. Damit bleibt er nicht nur ein hochrangiger Beamter der Bundesregierung, sondern auch ein wichtiger nationaler Unterhändler in den Gesprächen über die Aufnahme von Abgeschobenen und zum anderen über die Verschärfung der Migrationskontrollen an der Südgrenze Mexikos.
In der mexikanischen Grenzmetropole Ciudad Juárez, wo sich das Massaker vor zwei Jahren ereignete, sind derzeit kaum noch Geflüchtete auf der Straße anzutreffen. Die erwarteten Massenabschiebungen aus den USA blieben aus; von der mexikanischen Regierung errichtete Auffanglager blieben leer. Angesichts der totalen Aussetzung des Asylrechts nach dem erneuten Amtsantritt Donald Trumps kommen mittlerweile keine Menschen aus aller Welt in der Hoffnung an, ein Asylverfahren eröffnen zu können. Ihre einzige Chance bleibt, sich in die Hände der mexikanischen Kartelle zu begeben, die an der Grenze längst mehr Gewinne mit Menschenschmuggel als mit Drogenhandel machen. Diese dürften nun eine maximale Gewinnsteigerung erreichen, während für Menschen auf der Flucht noch einmal Preise und Lebensrisiko steigen.
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