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»Artenschutz zum Nulltarif«
Der Biologe Bertram Preuschhof freut sich über die Rückkehr der großen Nager
Herr Preuschhof, wie entstand Ihr Interesse an Bibern?
Ich habe lange Zeit in der Naturschutzbehörde des Landkreises Göttingen gearbeitet. Da hatte ich viel mit Tierarten zu tun, die im Rückgang begriffen sind – gerade in der Agrarlandschaft gibt es ja immer weniger Arten. Biber und Fischotter sind Arten, die in Deutschland schon fast ausgestorben waren und die jetzt wiederkommen. Das zu beobachten und wie schnell diese Rückkehr vonstattengeht, das finde ich sehr spannend.
Wie lange waren die Biber denn verschwunden?
Im heutigen Deutschland waren Biber etwa 15 Millionen Jahre lang zu Hause, früher lebten hier wohl mehr als 100 000 Tiere. In Niedersachsen zum Beispiel gab es den letzten Bibernachweis Anfang des 19. Jahrhunderts. Allerdings waren sie nie komplett verschwunden. In Sachsen-Anhalt, an der Mittleren Elbe, haben rund 200 Tiere überlebt. Seit 1989/90 ist der Biber auch in Niedersachsen zurück. Wie überhaupt seit der Wende bestimmte Arten wieder zunehmen.
Warum waren die Biber überhaupt weg? Wurden sie bejagt?
Ja, sie wurden intensiv bejagt. Zum einen war das die Verantwortung der Kirche. Die hat im Mittelalter gesagt, Biber seien auch Fische, und deswegen dürfen sie in der Fastenzeit gegessen werden. Sie schmecken wohl auch nicht schlecht, wie ich aus Kanada gehört habe. Aber auch wegen ihrer Pelze wurden sie gejagt. Biber haben unter den Säugetieren, die es hierzulande gibt, mit die dichtesten Pelze. Die haben pro Quadratzentimeter Haut 100-mal so viel Haare im Fell wie der menschliche Kopf, also ein extrem dichtes Fell. Das war sehr begehrt. Ebenso das Duftsekret Bibergeil, das lange Zeit als Wundermittel in der Medizin und der Parfümerie galt. Und der Biber wurde verfolgt, weil er Flächen vernässt hat durch den Dammbau und dadurch Schäden angerichtet hat.
Bertram Preuschhof beobachtet, erfasst und dokumentiert seit zehn Jahren die Wiedereinwanderung der beiden lange verschwundenen Arten Biber und Fischotter im Landkreis Göttingen. Der Biologe hat mehrere Jahrzehnte in der Naturschutzbehörde des Landkreises Göttingen für Arten- und Biotopschutz gearbeitet.
Jetzt ist er wieder da. Wie viele Biber leben in Deutschland?
Im Kreis Göttingen gibt es 25 bis 30 Reviere. In ganz Niedersachsen leben zwischen 500 und 1000 Biber. In Deutschland sind es circa 40 000 Tiere.
Wie erfahren Sie von neuen Revieren?
Schon während meiner Tätigkeit in der Behörde bin ich häufig von Leuten angerufen worden. Biberspuren sind ja, wenn es um Fraßspuren an Gehölzen geht, ziemlich einfach zu erkennen. Und dann habe ich mir das vor Ort angeguckt und dokumentiert. Manchmal hat auch die Polizei angerufen, wenn ein toter Biber am Straßenrand gefunden wurde. Ich habe auch schon selbst einen toten Biber gefunden. Zum Teil gehe ich aber auch selbst die Bäche ab. Die Zeit von Januar bis März ist dafür die beste Jahreszeit, weil die Gehölze nicht belaubt und die Fraßspuren besser zu sehen sind. Und man kann dann auch die Baue leichter finden. Im Hochsommer hat man dagegen kaum eine Chance, einen Biberbau zu entdecken.
Und wie bekommt man einen Biber zu Gesicht?
Biber sind nacht- und dämmerungsaktiv. Im Winter ist es fast unmöglich, sie bei Tageslicht zu sehen. Im Sommer sind die Nächte kürzer, da reicht den Bibern die Aktivitätszeit in der Nacht nicht. Da kann man schon mal einen Biber in der Dämmerung bei der Körperpflege beobachten.
Wie erschließen sich Biber neue Reviere? Ist das so wie bei den Wölfen, wo die Jungen nach einem oder zwei Jahren vom Rudel weggeschickt werden und gesagt bekommen: Jetzt zieht mal los und sucht euch selber was?
Biber sind, wie Wölfe, sehr streng auf ihr Revier bezogen, sie besetzen also Reviere, die sie auch gegen Nachbarn verteidigen. Bei Biberkämpfen können sich die Tiere auch schon mal schwer verletzen oder sterben. Die jungen Biber bleiben meist, bis sie zwei Jahre alt sind, im elterlichen Revier, dann müssen sie weg und sich neue Reviere suchen. Meistens ziehen sie flussaufwärts. In der Leine sind die ersten Biber im Kreis Göttingen aus Richtung Hannover gekommen, die sind damals auch flussaufwärts gewandert.
Wie groß ist eine Biberfamilie?
In manchen Revieren lebt nur ein Tier. Da ist beispielsweise ein junges Männchen irgendwo angekommen, dem es dort gefällt, und dann wartet es auf eine Partnerin. Bei einer Familie mit Nachwuchs können es vier bis acht Tiere sein – sofern alle überleben. Es überleben aber nur etwa die Hälfte der Biber ihren ersten Geburtstag. Ich konnte im Kreis Göttingen schon mit Wildkameras sieben Biber in einem Revier nachweisen.
Als die ersten Biber vor 30 Jahren zurückkehrten, war die Begeisterung groß. »Ach wie putzig, ach wie schön«, hieß es allenthalben. Inzwischen vernimmt man erstes Grummeln vor allem vonseiten der Landwirte. Die behaupten, Biber würden Flächen unter Wasser setzen und Bäume umlegen und diese würden in die Mais- oder Rapsfelder fallen. Ist da was dran?
Biber machen das, sie fällen schon häufig Bäume. Wobei das meistens nicht das Problem für Landwirte ist, die freuen sich eher, wenn sie mehr Licht auf dem Acker haben. Dass durch den Dammbau Flächen unter Wasser gesetzt werden, stört Landwirte schon eher. Das wird aber hier häufig übertrieben, weil über soziale Medien kolportiert wird, was Biber anderswo anrichten können. In Bayern etwa, wo 20-mal so viele Biber leben, sind die Schäden viel höher als in Niedersachsen. Das hören dann die hiesigen Landwirte und denken, das passiert hier auch, und in zwei Jahren steht ihr Land unter Wasser. Aber das ist hier derzeit nicht absehbar. Der einzige Fall im Kreis Göttingen war mal eine Wiese, die auf einer Fläche von einem fünftel Hektar für zwei Monate unter Wasser stand. Danach ist der Damm gebrochen, und die Stauung war wieder weg. Mir wäre es wichtig, wenn die Leute in der Diskussion bei der Realität in der Region bleiben.
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Und welche Argumente für den Biber hat der Naturschutz?
Der Biber an sich ist ja schon eine Bereicherung für den Artenschutz. Sie können zudem durch das Vernässen von Flächen und Aufstauen von Gewässern für mehr Artenvielfalt sorgen, weil sich dort weitere Pflanzen-, Fisch-, Amphibien- und Insektenarten ansiedeln. Sie leisten, wenn man es so nennen will, praktisch Artenschutz zum Nulltarif.
Sie bieten auch Führungen zu Biberrevieren an. Besteht dabei nicht die Gefahr, dass die Tiere durch die Anwesenheit von zu vielen Menschen verschreckt werden und wegziehen?
Nein, das denke ich nicht. Wenn da mal eine Gruppe von zehn Menschen tagsüber unterwegs ist, stört das die Biber nicht weiter. Auch Autolärm stört die nicht. Es gibt ja sogar in Großstädten wie Berlin oder Zürich Biberreviere. Nur wenn da jetzt nachts ’ne Party wäre, wo der Biber seinen Bau hat, dann würde der das wohl nicht so toll finden.
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