Krankenhausreform: Klagewelle beim Vorreiter

In Nordrhein-Westfalen tritt am 1. April der neue Plan für die Versorgung an Kliniken in Kraft

Abteilung für Neonatologie am Universitätsklinikum Essen: Ein Frühchen erhält ein Fläschchen mit gespendeter Muttermilch.
Abteilung für Neonatologie am Universitätsklinikum Essen: Ein Frühchen erhält ein Fläschchen mit gespendeter Muttermilch.

Freude in der Chefetage der Uniklinik Essen: Das Krankenhaus hat erfolgreich gegen die Planung des Gesundheitsministeriums Nordrhein-Westfalen geklagt, laut der hier künftig fast keine Herztransplantationen mehr hätten durchgeführt werden dürfen. Die Verwaltungsrichter waren in ihrer Eilentscheidung der Meinung, dass die Uniklinik führend sei in Forschung und Lehre für Transplantationschirurgie. Wenn dort keine Herztransplantationen mehr durchgeführt werden dürften, würde das diese Forschung bedrohen.

NRW ist das erste Bundesland, das die Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) umsetzt. Anstelle der bisherigen Planung nach Bettenkapazität erfolgt künftig eine Zuweisung von Leistungsgruppen (LG) an die Kliniken. Sie dürfen bestimmte medizinische Leistungen nur noch anbieten, wenn sie gewisse Qualitätskriterien erfüllen. Durch diese Spezialisierung soll sichergestellt werden, dass Patienten bei komplexen Eingriffen in erfahrenen Einrichtungen behandelt werden, während die Grund- und Notfallversorgung flächendeckend erhalten bleiben soll. Die Kliniken in NRW mussten sich auf die einzelnen LG bewerben, das Gesundheitsministerium von CDU-Mann Karl-Josef Laumann verschickte Anfang Dezember die jeweiligen Feststellungsbescheide. Gegen diese gab es insgesamt 95 Klagen und 28 Eilanträge, bisher wurden die meisten abgewiesen. Die Krankenhäuser wollen damit durchsetzen, dass sie bestimmte Leistungen weiter anbieten können.

Für die Opposition ist die Klageflut ein gefundenes Fressen: Von einem »chaotischen Vorgehen« der schwarz-grünen Landesregierung sprach die stellvertretende SPD-Fraktionschefin Lisa-Kristin Kapteinat vergangene Woche in einer Aktuellen Stunde im Düsseldorfer Landtag. Den Kliniken sei zu wenig Zeit für die Umstellung gegeben worden. Die Umsetzung des Krankenhausplans hätte »in einem geordneten Verfahren erfolgen können«, sagte Kapteinat. Laut dem Bundesgesetz ist dafür Zeit bis Ende 2026.

Nordrhein-Westfalen sieht sich als Vorreiter bei der Umgestaltung der Krankenhauslandschaft und arbeitet schon seit drei Jahren an einer Reform. Allerdings wurde der Start wegen Beschwerden der Kliniken zunächst um drei Monate auf 1. April verschoben; an diesem Dienstag tritt der Krankenhausplan nun jedoch in Kraft. Die Landesregierung hat versprochen, dass die Grund- und Notfallversorgung für 90 Prozent der Bevölkerung in nur 20 Minuten Fahrzeit erreichbar sein soll – die bundesweite Vorgabe beträgt 30 Minuten. Die viel beschworene Gefahr einer Unterversorgung in ländlichen Regionen sehen Experten hier aufgrund der hohen Krankenhausdichte im bevölkerungsreichsten Bundesland nicht. Allerdings gibt es auch hier Finanzprobleme – in den letzten vier Jahren wurden bereits 17 Krankenhäuser geschlossen.

Zur Grundversorgeung zählen in NRW die Leistungsgruppen »Allgemeine Innere Medizin« und »Allgemeine Chirurgie«, bei denen alles weitgehend beim Alten bleibt. Massive Veränderungen gibt es hingegen etwa im Bereich der Knie- und Pankreaseingriffe, wo die Versorgung gebündelt und stärker konzentriert wird. Das Einsetzen eines künstlichen Kniegelenks gilt als »Cash Cow« der Kliniken – gestiegene Fallpauschalen hätten laut Kritikern Anreize geboten, vermehrt künstliche Kniegelenke einzusetzen, auch wenn dies nicht medizinisch geboten war. Für die LG »Endoprothetik Knie« hatten sich 214 Kliniken beworben. 36 Prozent von ihnen dürfen diese künftig gar nicht mehr anbieten. 38 Prozent wurden weniger Fälle bewilligt als beantragt, während es bei 15 Prozent der Antragsteller mehr sind.

Ein Sonderfall ist die Kinder- und Jugendpsychiatrie, bei der das bisherige Leistungsangebot ausgeweitet wird. Grund ist die seit der Corona-Pandemie stark gestiegene Nachfrage. Gesundheitsexperten sind aber aufgrund des Fachkräftemangels skeptisch, ob sich die Pläne in die Tat umsetzen lassen.

Bei den Klagen geht es lediglich um die Einzelfallentscheidungen, nicht um die Reform generell. Deren Notwendigkeit wird von allen Gesundheitsakteuren, aber auch Gewerkschaftern und in der Fachwelt gesehen. »Das Ziel der Reform ist eine Qualitätssteigerung durch Spezialisierung. Vorteile sind bessere Behandlungsergebnisse durch höhere Fallzahlen«, erläutert Robert Grützmann, Direktor der Chirurgie am Universitätsklinikum Erlangen und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft für Leber, Galle und Pankreas. Er verweist auf die hohe Krankenhaussterblichkeit nach Pankreaseingriffen, die in Deutschland bei etwa zehn Prozent liege. »Eine Zentralisierung dieser Eingriffe führt nachweislich zu besseren Ergebnissen, darunter einer geringeren Komplikationsrate, zu einer signifikant niedrigeren Mortalität und zu besseren Langzeitergebnissen«, so Grützmann. Jedoch bleibe abzuwarten, ob die verbleibenden Kliniken die steigende Patientenzahl bewältigen können. Außerdem könnte die Reduktion dezentraler OP-Gelegenheiten die chirurgische Aus- und Weiterbildung beeinträchtigen.

Diese Probleme sieht auch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi: Sie warnt davor, dass der notwendige Systemumbau »auf dem Rücken der Beschäftigten erfolgt«. Der Status quo sei bereits jetzt von Arbeitskräftemangel und Überlastung geprägt. »Im gesamten Krankenhauswesen fehlt Personal, und die Betreuung während der Ausbildung lässt zu wünschen übrig«, mahnt Susanne Hille, Fachbereichsleiterin Gesundheit bei Verdi in NRW. »Neue Strukturen müssen erst tragfähig sein, bevor alte abgebaut werden – egal, ob im ambulanten oder stationären Bereich. Sonst entstehen Versorgungslücken, die sowohl Beschäftigte als auch Patientinnen und Patienten direkt treffen.«

Die Reform wird in Nordrhein-Westfalen trotz solcher offenen Fragen und anhängiger Klagen nun umgesetzt, auch am Klinikum Essen: Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da das Hauptverfahren noch ansteht und zudem Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht eingelegt werden kann. Bis dahin gelten auch für die klagenden Krankenhäuser die neuen Landespläne.

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