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Netanjahu wählt neuen Geheimdienst-Chef
Unter Missachtung des Obersten Gerichts soll Ex-Marinekommandeur den Schin Bet leiten
Trotz massiver Proteste und eines laufenden Verfahrens am Obersten Gerichtshof hat Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu einen Nachfolger für den von ihm entlassenen Chef des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet bestimmt. Nach Gesprächen mit sieben Kandidaten habe sich der Premier für den früheren Marinekommandeur Eli Scharvit entschieden, erklärte Netanjahus Büro am Montag. Die Entscheidung ist hochumstritten, da der Oberste Gerichtshof Ronen Bars Entlassung auf Eis gelegt hatte.
Netanjahu hatte den bisherigen Schin-Bet-Chef Ronen Bar im März entlassen und dies mit mangelndem Vertrauen in den Geheimdienstchef und dem Versagen von Schin Bet beim Hamas-Überfall am 7. Oktober 2023 begründet. Bar bezeichnete die Entscheidung als politisch motiviert. Sein Verhältnis zu Netanjahu galt als angespannt, seit der Geheimdienst in einem Untersuchungsbericht zum 7. Oktober 2023 neben dem eigenen Versagen auch Fehler der Regierung benannt hatte. Außerdem ermittelt Schin Bet zu mutmaßlichen Zahlungen aus Katar an einen Netanjahu-Vertrauten.
Heftige Proteste gegen die Entlassung
Die Entscheidung der Regierung zur Entlassung Bars hatte in Israel heftige Proteste ausgelöst. Der Oberste Gerichtshof legte diese mit einer einstweiligen Verfügung auf Eis. Das Gericht will sich bis zum 8. April mit mehreren Einsprüchen gegen Bars Entlassung befassen. Daher ist völlig unklar, ob und wann Scharvit die Leitung des Geheimdienstes übernehmen wird.
Oppositionsführer Benny Gantz forderte Netanjahu auf, erst die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs abzuwarten. Mit der Nominierung von Bars Nachfolger noch während des laufenden Verfahrens habe sich Netanjahu dafür entschieden, »seine Kampagne gegen das Justizsystem fortzusetzen und den Staat Israel in eine gefährliche Verfassungskrise zu führen«, erklärte der frühere Verteidigungsminister.
Der Oberste Gerichtshof habe Netanjahu zwar offiziell erlaubt, schon während des laufenden Verfahrens Gespräche mit den Kandidaten für Bars Nachfolge zu führen, sagte ein Rechtsexperte der Nachrichtenagentur AFP. Die endgültige Entscheidung über die Rechtmäßigkeit seiner Entlassung stehe aber noch aus. Mit der Auswahl eines Nachfolgers wolle Netanjahu nun möglicherweise »Fakten schaffen«. Es könne sich auch um einen Versuch handeln, »das Gericht zu beeinflussen«, sagte der Experte.
Berufung beim Obersten Gerichtshof durch die Opposition
Netanjahus Büro verwies am Montag auf die militärische Erfahrung von Vizeadmiral Scharvit. Dieser habe 36 Jahre lang gedient, davon fünf Jahre als Marinekommandeur. Neben Bar liegt der israelische Ministerpräsident auch mit Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara über Kreuz und will diese ebenfalls ihres Amtes entheben.
Nach der Entlassung des israelischen Inlandsgeheimdienstchefs Ronen Bar legte die Opposition Berufung beim Obersten Gerichtshof gegen das Vorgehen der Regierung ein, allen voran die Mitte-rechts-Partei Jesch Atid des Oppositionspolitikers Jair Lapid: Die Entscheidung beruhe »auf einem eklatanten Interessenkonflikt« des Regierungschefs. Die Berufung wurde im Namen von vier Oppositionsparteien eingereicht: Außer Jesch Atid schlossen sich die zentristische Nationale Union von Ex-Verteidigungsminister Benny Gantz, die Demokratische Partei von Jair Golan und die nationalistische Partei Israel Beiteinu von Avigdor Lieberman an. AFP/nd
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