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Landesparteitag: Berliner AfD muss ausreisen
Landesvorsitzende Kristin Brinker wiedergewählt
Im Regionalzug aus Berlin fahren Bundespolizisten mit. Auf dem Bahnsteig in Jüterbog warten schon ihre Kollegen. Auf dem Bahnhofsvorplatz übernehmen dann Brandenburger Polizisten die Begleitung der Gegendemonstranten. Die Berliner AfD ist am Sonntag für einen Parteitag bereits zum zweiten Mal nach Jüterbog (Teltow-Fäming) ausgewichen. Die Gegner der AfD lassen sich nicht abschütteln und reisen ihr hinterher.
Mitgekommen ist die Berliner Linke-Landesvorsitzende Franziska Brychcy. Gegen 5.30 Uhr ist sie aufgestanden, um pünktlich um 8 Uhr in Jüterbog zu sein. Sie wolle sich der menschenfeindlichen Hetze der AfD entgegenstellen, sagt Brychcy dem »nd«. Sie müsse ja im Abgeordnetenhaus mit anhören, welche Ressentiments diese Partei gegen Migranten schüre – in einer Stadt, in der ein Drittel der Einwohner eine Migrationsgeschichte habe. »Deshalb muss man sich diesem demokratischen Protest anschließen«, begründet Brychcy ihre Beteiligung an der Gegendemonstration.
Den Lautsprecherwagen stellen ihre Genossen vom Landesverband Brandenburg. Landesgeschäftsführer Stefan Wollenberg ist mit einem Transporter aus Potsdam gekommen und befestigt die Boxen auf dem Dach, aus denen dann Musik und Reden durch die Straßen schallen.
Rund 100 Menschen ziehen am Bahnhof los, etwa 200 Menschen sind schon bei anderen Kundgebungen rund um die Wiesenhalle. Dort hält die AfD ihren Landesparteitag ab, begrüßt vom früheren Bürgermeister Arne Raue, der im November in die AfD eingetreten ist und im Februar in den Bundestag gewählt wurde. Raue hält es für ein Gerücht, dass die AfD in Berlin keinen Saal mehr bekommen würde. Sie reise doch sicher deswegen nach Jüterbog, weil es hier so schön sei, äußert sich Raue launig. Er ist bester Laune, da die AfD in der jüngsten Meinungsumfrage bundesweit auf 24 Prozent kam und mit der CDU gleichziehen konnte. In Brandenburg liegt sie schon länger vor allen anderen Parteien.
Die AfD wird trotz aller gegen sie gerichteten Bemühungen immer stärker. Nicht nur ihre Umfragewerte, auch ihre Mitgliederzahlen steigen – in Berlin auf jetzt 1768, in Brandenburg auf inzwischen mehr als 3000. Die AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus zählt aktuell 16 Köpfe. Die Landesvorsitzende Brinker hofft, dass es nach der Wahl im kommenden Jahr »mindestens« doppelt so viele sein werden.
Die AfD-Landesvorsitzende Kristin Brinker wird am Sonntag nicht nur in ihrer Funktion bestätigt – mit 94,3 Prozent der Stimmen – sie wird am Sonntag auch 53 Jahre alt. »Zum Geburtstag, liebe Kristin, zum Geburstag viel Glück«, singen die AfD-Mitglieder und erheben sich dazu von ihren Plätzen. Brinker spendiert Kuchen. Die Politikerin glaubt, für die Brandenburger seien die protestierenden »Antifanten« draußen etwas Neues. Da irrt sie aber. Die Brandenburger AfD hielt auch schon mehrere Parteitage in Jüterbog ab und da waren ebenfalls Gegendemonstranten zur Stelle.
»Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda!«
Losung der Gegendemonstranten
Es waren und sind nicht etwa nur angereiste Berliner, die der AfD die Stirn bieten. Mit dabei ist aus Jüterbog am Sonntag wieder einmal der stellvertretende Linke-Kreisvorsitzende Tom Siedenberg. Er stellt sich vor der Wiesenhalle der AfD persönlich entgegen, versperrt mit seinem Körper einem Auto den Weg, in dem nach seinem Eindruck AfD-Mitglieder sitzen. Damit das Auto passieren kann, schiebt und schubst ein Polizist Siedenberg weg. Der junge Mann landet auf dem Pflaster. Es sieht beinahe so aus, als habe der Beamte ihn zu Boden gestoßen. Doch Siedenberg bekennt, er habe sich auf die Straße setzen wollen.
An einer anderen Stelle kommt später eine Sitzblockade zustande. Doch die Polizei zerrt ein paar der Sitzenden weg, damit mehrere AfD-Mitglieder auf Umwegen doch noch zum Veranstaltungsort durchkommen. Anderswo mussten sie zuvor trotz Polizeibegleitung kehrtmachen, weil dort zu viele Gegendemonstranten standen und nicht weichen wollten.
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Es kommt zu Wortgefechten. »Ihr habt 60 Millionen Menschen auf dem Gewissen – eure Ideologie«, schimpft ein Lehrer, der sich mit einem Kollegen an der Gegendemonstration beteiligt. »Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda«, wird den AfD-Mitgliedern erst vereinzelt und dann im Chor gerufen.
Das will einer der AfD-Männer nicht auf sich sitzen lassen. Er sei in einer kommunistischen Familie aufgewachsen und wisse, was den Juden in der Nazizeit angetan wurde, erzählt er später. Den beiden Lehrern sagt er zunächst nur, dass er viele israelische Freunde habe und will damit unterstreichen, dass er unmöglich ein Faschist sein könne. Zum Beweis öffnet er seine Jacke und zeigt ein israelisches Symbol.
Doch da ist er an der falschen Adresse. Es gibt in der linken Szene einige israelsolidarische Antideutsche und viele propalästinensische Antiimperialisten – und die zwei Lehrer gehören zur propalästinensischen Richtung. Er solle weggehen mit seiner Genozid-Propaganda, sagen sie. Als der Mann verdutzt schaut und ungläubig nachfragt, bekommt er zu hören: Israel verübe im Gazastreifen einen Völkermord. Als das AfD-Mitglied gegangen ist, gesteht der dritte Mann, der mit den beiden Lehrern zusammen ein Transparent hält, also da sei er anderer Auffassung. Doch obwohl das ein sehr heikles Thema ist, lächeln alle drei freundlich und verständigen sich in Sekundenschnelle, dass sie sich einig sind und einig bleiben gegen die AfD.
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