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Bonobo Kanzi: Einer von uns
Bonobo Kanzi ist gestorben. Wir wollen sein Erbe ehren
Liebe Lesende: Bonobo Kanzi ist gestorben!
In aller Höflichkeit möchten wir an dieser Stelle um eine Schweigeminute und um Ihr Mitgefühl bitten, dabei still hoffend, dass Sie diesen Bonobo Kanzi vielleicht nicht direkt zuordnen können, ihn aber, weil er hier auftaucht, für einen bedeutenden Festivalleiter, Philosophen oder Nobelpreisanwärter und daher für betrauernswert halten, und seien Sie versichert: Bonobo Kanzi war einer von uns, uns Kulturmenschen. Jedenfalls so gut wie. Stattliche 45 Jahre alt ist Bonobo Kanzi geworden, und sein Leben und sein Werk haben uns den Spiegel vorgehalten, so lange er da war.
Bonobo Kanzi, bekannter unter seinem Rufnamen Kanzi, hat ungefähr so gut Englisch gesprochen wie der gemeine Bundesbürger, 3000 passive Vokabeln standen ihm dabei zur Verfügung, Kanzi hat aus Ästen, Steinen und Hirschgeweih-Fragmenten neue Werkzeuge hergestellt, er hat sich das Anbraten von Marshmallows und die Nutzung von Mikrowellengeräten kulturell angeeignet sowie ausgiebig das Computerspiel »Minecraft« gespielt; Kanzi hat, wie so viele, kaum einen Unterschied erkennen können zwischen seinem Job – Bonobo Kanzi zu sein – und seinem Privatleben: So oder so kam er nicht umhin, viele Stunden seines Lebens forschenden Personen in Batikklamotten gegenüberzusitzen, die jede seiner Regungen verfolgten und sich Notizen dazu machten. Kanzi hat sich im Laufe der Jahre (und fragwürdig früh wurde er ins Berufsleben geworfen) einen gewissen Schmerbauch angeeignet, den er im Herbst seines Lebens dann mit Hilfe eines Beraterteams sich abzutrainieren hatte. Er tat es, soweit wir wissen, ohne zu klagen.
Ach ja, und Kanzi war natürlich ein Bonobo, das erwähnten wir ja, also ein naher Verwandter von Ihnen, liebe Lesende, vom Autor dieser Zeilen, und von Gorillas und Schimpansen. Wobei, unter uns Primaten: Wer glaubt schon noch an Grenzen zwischen Arten? Sie sind ja nur ein gedankliches Konstrukt, das den aufgeklärten Geist nicht letztgültig überzeugt. Denn was ist eine Tierart? Wir wissen es noch aus der Schule: Zur selben Art gehören alle, die sich zusammen fortpflanzen können, und deren Nachkommen ebenso fortpflanzungsfähig sind.
Brechen wir das mal auf die Kernfamilie herunter, so folgt logisch: Du gehörst immer zu der Art, zu der auch deine Eltern gehören. Diese wiederum gehören zur selben Art wie ihre Eltern, deine Großeltern, wie deine Urgroßeltern ... So geht es bis in die tiefsten Tiefen der Evolutionsgeschichte hinunter. Wir gehören also zur selben Art wie der knubbelige Fisch, der vor 365 Millionen Jahren aus Witz mal an Land gequabbelt ist, unsere Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-usw.-Oma. Von ihr stammen dann diese eichhörnchenähnlichen Pelzträger ab, welche den Dinos zwischen den Füßen herumliefen und aus denen sich später Pferde, Nashörner, Komodowarane, alle möglichen Zotteltiere, und Sie, liebe Lesende, entwickelten.
Und da soll man jetzt nicht traurig sein?
Ruhe in Frieden, Bonobo Kanzi, du warst einer von uns. Was du auf Erden erreichen wolltest, hast du nie mitgeteilt. Hast deine kurze Spanne auf Erden der Wissenschaft geopfert, hast dein Bonobo-Leben nie gelebt. Lebt aber irgendwer von uns das Steinzeitleben, für das er geschaffen ist, mit Siesta, Spiel, Speerwurf und Lagerfeuer am Abend? Wir werden, Kanzi, dein Angedenken in Ehren halten, und wir werden uns bemühen, deinem Erbe gerecht zu werden: keine Kriege. Kaum Gewalt. 3000 Vokabeln, dann und wann eine Banane. Und ab und zu, wenn’s passt, ins Fitnessstudio. Aber lieber länger Mittagspause, das ist eh viel gesünder.
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