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Gitarrist Ritchie Blackmore: Zauberer am Griffbrett

Benutze auch den kleinen Finger! Ritchie Blackmore zum Achtzigsten

  • Frank Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.
Hardrock und Mittelaltermusik – Gitarrist Ritchie Blackmore: Zauberer am Griffbrett

Ritchie Blackmore prägte wie kein zweiter die Ikonografie des klassischen Hardrock-Gitarristen. Er zelebrierte ein Solo wie ein okkultes Ritual, nahm die Greifhand nach vorn, falsch herum, wischte in Spielpausen hektisch mit beiden Händen übers Griffbrett, malte bedeutungsheischend wie ein Jahrmarkt-Zauberer Arabesken in die Luft, und das alles in harmonisch fließenden Bewegungen, die den Eindruck erweckten, als sei das unbedingt nötig für die Notenproduktion.

Blackmore wurde am 14.April 1945 in Weston-super-Mare, einem Badeort in der Nähe von Bristol geboren, als er 11 war, bekam er von seinem Vater die erste Gitarre geschenkt. Er entwickelte schon früh Interesse vor allem an der spieltechnischen Seite. »Ich hatte ein Jahr lang klassischen Gitarrenunterricht. Das half mir, da ich lernte meinen kleinen Finger zu benutzen«, gab er später zu Protokoll. »Viele Bluesgitarristen spielen nur mit drei Fingern, so dass sie bestimmte Läufe nicht ausführen können.«

Spätestens ab Mitte der Siebziger ist ihm der Heroenstatus sicher, und der lässt sich sogar musiktheoretisch erhärten. Blackmore hat das Rockgitarrenspiel auf originäre Weise revolutioniert durch seine Vermischung der herkömmlichen Blues-Pentatonik mit klassischen Kirchentonarten, vor allem dorischen und phrygischen Skalen. Für ihn war E-Musik ohnehin nie der Feind.

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Wie bei vielen Musikern Anfang der Sechziger, beginnt Blackmore seine professionelle Karriere in einer Skiffle Band. Er ist schon damals schnell gelangweilt und wechselt ständig die Besetzungen. Man findet ihn in der Backing Band von Screaming Lord Sutch, bei den Outlaws, den Wild Boys und den Crusaders. Plattenproduzent Joe Meek wird auf ihn aufmerksam und schustert ihm regelmäßige Studiojobs zu. Das ist lukrativ und formt seinen Stil. »Sessionarbeit macht dich viel exakter«, räumt er später ein. »Wenn du gut im Studio spielen kannst, bist du auch auf der Bühne gut.«

Plötzlich winkt das große Geld. Finanziers suchen nach Anlagemöglichkeiten im Pop-Business und buchen Könner aus diversen Bands für eine Art Supergroup, die nach einer englischen Version der US-Bombast-Psychdeliker Vanilla Fudge klingen soll. Auf ihrem Debüt »Shades Of Deep Purple«(1968) hat Jon Lord noch die Nase vorn, das ändert sich erst mit »Deep Purple In Rock« – schon Blackmores wilde Eingangs-Improvisation im losbretternden Opener »Speed King« zeigt, was der Taktstock geschlagen hat.

»In Rock« kommt 1970 in die Charts, der Nachfolger »Fireball« landet in England sogar auf Platz eins. Sie treten im Fernsehen auf, ihre energetischen Live-Shows sind ausverkauft, die kalkuliert ausufernden Soloduelle zwischen Ritchie Blackmore und Jon Lord treffen absolut den progressiven Geist der Zeit. Mit dem Nachfolger »Machine Head« setzen sich Deep Purple bereits an die Spitze der jungen Hardrock-Bewegung – nicht nur wegen »Smoke On The Water«, dem Albtraum jedes Gitarrenhändlers.

Doch Blackmores Egozentrik erreicht bald ein Maß, das nach einer eigenen Band verlangt. Anfang 1975 verlässt er Deep Purple und rekrutiert Erfüllungsgehilfen, die er nach Gusto tyrannisieren und austauschen kann. Rainbow ist sein Werkzeug, und die nun folgenden Alben dieser Band beweisen, was man angesichts der Strahlkraft des Gitarristen vielleicht bisweilen überhört, dass Blackmore nämlich auch mal ein großer Songschreiber war. Nicht nur in der klassischen Phase mit Ronnie James Dio, in der das titellose Debüt, »Rising« und »Long Live Rock’n’Roll« erscheinen, allesamt Referenzwerke für orchestral inszenierten, den Bombast der Zeit sich souverän einverleibenden Siebziger-Hardrock. Und dass er live allemal ein Feuerwerk abbrennen kann, zeigen die diversen Live-Mitschnitte, vor allem das großartige, die improvisatorische Verve der frühen Formation um Blackmore, Dio und Schlagzeuger Cozy Powell einfangende Doppelalbum »On Stage«.

Blackmore mag ein Egomane sein, aber er behielt stets seinen Geschäftssinn. Als eine lukrative Reunion der klassischen Deep-Purple-Besetzung im Raum steht, ist er selbstredend mit dabei, und das 1984 daraus hervorgehende »Perfect Strangers« reicht dann tatsächlich noch einmal an die großen Erfolge aus den frühen Siebzigern heran. Die folgenden Alben fallen zwar deutlich ab, ihre Shows sind aber trotzdem ausverkauft, und so bleibt Blackmore immerhin bis 1993. Danach revitalisiert er noch einmal sein Rainbow-Vehikel mit völlig neuen Leuten, aber der Spaß am Krach ist ihm mittlerweile vergangen, nebenher bosselt er schon mit seiner jungen Freundin Candice Night am Mittelalter-Folk-Projekt Blackmoreʼs Night.

Schon bald darauf platzt die Bombe. Blackmore mustert seine Marshall-Stacks aus, um von nun an mit akustischer Gitarre, Mandoline und Drehleier Mummenschanz für Mittelaltermärkte zu intonieren. Die Gemeinde ist entsetzt.

Zwanzig Jahre hält er durch, dann lässt er sich doch noch einmal zu ein paar Konzerten überreden – Blackmore agiert so unbeholfen und auch lustlos, als verstünde er seine eigenen Songs nicht mehr. Er sieht schließlich ein, dass er an seinem eigenen Denkmal meißelt, und kehrt reumütig ins Folk-Lager zurück. Vielleicht sollten sich die alten Fans endlich damit abfinden. Es gibt ja immer noch die Archive, die Live-Aufnahmen, Leftovers, Alternativ-Versionen, mit einem Blackmore auf der Höhe seiner Kunst.

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