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Plattfuß ohne Prügelexzesse
Sky setzt Bud Spencers Krimikomödien der 70er im Neapel von heute mit ähnlichem Kommissar fort, macht ansonsten aber nahezu alles anders als damals
Die Gegenwart befindet sich im ständigen Wandel. Irgendwie wirkte sie dabei aber schon mal berechenbarer. Vor rund 50 Jahren zum Beispiel: Deutschland war noch geteilt und Europa geeint, donnerstags hüpfte ein drolliger Quizmaster in die Luft, falls er etwas spitze fand. Tags drauf berichtete das »Auslandsjournal« zur besten Sendezeit vom Rest der Welt. Wochenends moderierte Blacky Fuchsberger schon mal im Nachthemd. Und vorm »Tatort« vertrieb Bud Spencer uns den Fernsehnachmittag mit Wiederholungen schlagkräftiger Komödien, deren Konfliktlösungsstrategien fernab kindgerechter Bildungskonzepte schepperten.
Wenn der frühere Olympiaschwimmer Carlo Pedersoli seine Gegner mit Faustschlägen wie Peitschenhiebe durchs Mobiliar aus Balsaholz prügelte, konnte man sich arglos von Inflation, Arbeitslosigkeit und SS20 vorm Wohnzimmerfenster ablenken. In einer Epoche, deren Konfliktlösungsstrategien gerade neuerlich an die des Kalten Krieges erinnern, wirkt es da fast erfrischend, dass Buddy nun wieder den Lukas haut. Genauer: eine Filmfigur, mit der Spencer ab 1973 auch ohne Terence Hill viermal die Kinokassen füllte.
Anders als Bud Spencers Plattfuß kriegt Salvatore Espositos ein Leben abseits schlagkräftiger Action.
Sie nennt sich »Plattfuß«, streckt zu Beginn der gleichnamigen Serie gleich mal einen Gegner per Kopfnuss nieder und trägt nicht nur das Pseudonym seines (buchstäblich) großen Vorbilds. Der korpulente Vollbartträger Vincenzo Palmieri sieht seinem Vorbild und Mentor Manuele Rizzo auch zum Verwechseln ähnlich. Das bleibt allerdings, so viel vorweg, fast die einzige Analogie von »Piedone lo sbirro«, wie der erste von vier Teilen im italienischen Original hieß, zu »Plattfuß – Ein Cop in Neapel« (so der deutsche Titel dieser zeitgenössischen Fortsetzung).
Peppe Fiores Drehbücher schicken den Titelhelden wie dessen Vorgänger in der süditalienischen Camorra-Hochburg auf die Spur skrupelloser Drogendealer. Seine depperten Sparringspartner fliegen allerdings schon deshalb nicht mehr pausenlos hochkant durch dreckige Hafenspelunken, sobald Plattfuß zuhaut, weil der sich im Gleichschritt mit den Zeiten geändert hat. Und das liegt womöglich auch an seinem Darsteller. Schließlich wurde Salvatore Esposito durch das Mafia-Epos »Gomhorra« am gleichen Schauplatz berühmt.
Fast 60 Folgen hat der Neapolitaner ab 2014 den Nachwuchspaten Genny Savastano verkörpert – manchmal melancholische, meistens unbarmherzige Hauptfigur einer hyperrealistischen Serie, die wie ihr Schauplatz wenig mit Commissario Rizzos Komödien zu tun hat. Regisseur Alessio Maria Federici gönnt den spielfilmlangen Folgen zwar durchaus Momente der Leichtigkeit, die ästhetisch mitunter an Guy Ritchie erinnern und in Gestalt des tollpatschigen Inspektors Noviello (Fabio Balsamo) einen Sidekick klamaukiger Schule aufbieten.
Doch auch hier wird gleich mal jemand hinterrücks erschossen, als Plattfuß nach acht Jahren Auslandseinsatz in Stuttgart heimkehrt. Nicht der einzige Wandel. Um den Mörder zu finden, muss er sich der jungen Kommissarin Sonia Ascarelli (Silvia D’Amico) unterordnen, was dem sanften Macho noch schwerer fällt, als Regeln zu befolgen. Wenn sich ein Mord pro Episode zum Puzzle fügt, geht es also nicht annähernd so ulkig zu wie bei Rizzo, der gelegentlich in Rückblenden auftaucht.
Das liegt auch an der Opioidkrise, die Europa mittlerweile so im Griff hat, dass sein Nachfolger im dritten Teil gemeinsam mit Ascarelli einen Abstecher zur Drogen-Drehscheibe Hamburg macht – das »deutsche Neapel«, wie ein hanseatischer Kollege die Stadt im Schatten der Elbphilharmonie nennt. Anders als Bud Spencers Plattfuß kriegt Salvatore Espositos darüber hinaus ein Leben abseits schlagkräftiger Action. Wenn er die Einschusslöcher im Rolltor eines verriegelten Geschäfts betastet, werden Schicksalsschläge einer Jugend angedeutet, die auch in Rückblenden alles andere als behütet wirkt.
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»Die Wut ist immer noch da«, sagt er einmal zu seiner Einsatzleiterin, die ihre Einsamkeit nach Feierabend gerne mit Fastfood und anonymen One-Night-Stands bekämpft, »manchmal kann ich sie kaum drosseln.« Umso erstaunlicher, dass Plattfuß 2025 im Gegensatz zum Vorgänger ziemlich effektive Impulskontrolle betreibt. Bis zur ersten Wirtshausschlägerei dauert es daher geschlagene zwei Stunden. Und dann bleibt es auch noch die letzte.
Sky setzt mit seiner Eigenproduktion offenbar andere Schwerpunkte als die populären Prügelexzesse der 70er zum Sound der Oliver Onions. Eine Milieustudie des migrantisch geprägten Neapel zum Beispiel, wo Arm und Reich, oben und unten, legal und illegal nebeneinander und doch Lichtjahre voneinander entfernt koexistieren. Besonders im Original mit Untertiteln ist das auf sehr solide Art unterhaltsam.
Verfügbar auf Sky.
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