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Die Große Kontroll-Koalition
Union und SPD fordern im Koalitionsvertrag zur Inneren Sicherheit »null Toleranz«
Mit dem neuen Koalitionsvertrag verliert die SPD das Bundesinnenministerium – es geht wieder an die CSU, wie in diesem Jahrhundert bereits unter Hans-Peter Friedrich und Horst Seehofer. Wer den Posten übernehmen wird, ist noch unklar. Als Favorit im Gespräch ist der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt.
Der Bereich der Inneren Sicherheit im Kapitel 3 des Koalitionsvertrags ist entsprechend unionsgefärbt. In Anlehnung an das Scholz-Zitat wird eine »Zeitenwende« ausgerufen. »Was die Feinde der Demokratie angeht, gilt der Grundsatz ›Null Toleranz‹«, so die Drohung. Dazu soll das Strafrecht zum Schutz von Polizei- und Rettungskräften sowie Angehörigen der Gesundheitsberufe weiter verschärft werden.
Im Bereich der digitalen Überwachungsinstrumente erhält die Bundespolizei künftig Befugnisse zum Einsatz von Staatstrojanern zur Bekämpfung schwerer Straftaten wie etwa Schleusungskriminalität. Bei dieser sogenannten Quellen-Telekommunikationsüberwachung werden laufende Programme zur Kommunikation auf einem Handy oder Rechner beobachtet. Ob das Bundesamt für Verfassungsschutz Trojaner weiter nutzen darf, soll in einer letztes Jahr begonnenen »Überwachungsgesamtrechnung« überprüft werden.
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»Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation und eine Identifizierungspflicht lehnen wir ab«, heißt es weiter – also keine anlasslose Kontrolle verschlüsselter Chatkommunikation. Das ist, falls keine Hintertüren auftauchen, eine Überraschung. Es wird angeblich auch keine Klarnamenpflicht im Internet geben. Laut dem dritten Koalitionsvertragskapitel wird jetzt aber nach jahrzehntelangem Hickhack und ablehnenden Gerichtsurteilen doch eine Vorratsdatenspeicherung eingeführt – offenbar als sogenanntes »Quick-Freeze«, also nach richterlichem Beschluss und nicht anlasslos für alle Internetnutzer*innen. Die Funkzellenabfrage zur nachträglichen Ortung von Handynutzern soll indes »umfassender« ermöglicht werden.
Bei den Ermittlungs- und Strafverfolgungsmaßnahmen setzt die Koalition verstärkt auf biometrische Überwachung. Ein Gesetz soll der Polizei den Abgleich von Gesichtern im Internet erlauben, »für bestimmte Zwecke« darf dazu Künstliche Intelligenz eingesetzt werden. Zusätzlich soll die Gesichtserkennung (»biometrische Fernidentifizierung«) im öffentlichen Raum eingeführt werden – neben der Videoüberwachung an sogenannten »Kriminalitätsschwerpunkten« ein sehr weitgehender Schritt.
Zudem soll die neu eingeführte Möglichkeit zur Telefonüberwachung auch bei Verdächtigen von Wohnungseinbruchsdiebstahl fortgeführt werden. Ebenfalls angekündigt wird der verstärkte Einsatz automatisierter Kennzeichenlesesysteme. Außerdem plant die Koalition die Einführung eines behördenübergreifenden »Frühwarnsystems« für Gefahren durch Menschen mit psychischen Auffälligkeiten. Dazu gehört eine »Risikobewertung«, bei der unklar ist, aus welchen Daten diese erstellt werden soll.
Im Kampf gegen Organisierte Kriminalität (auch einer explizit genannten »Clankriminalität«) sieht der Koalitionsvertrag eine vollständige Beweislastumkehr beim Einziehen von Vermögen unklarer Herkunft vor – die Regelung trägt die Handschrift von Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU). Ähnlich weitgehend ist auch die angekündigte Änderung des Strafrechtsparagrafen zur »Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat«, der künftig auch Alltagsgegenstände wie etwa Fahrzeuge oder Messer als Tatmittel einschließen soll. Bisher waren nur Waffen oder Sprengstoff erfasst. Dies würde den Terrorparagrafen näher an ein Gesinnungsstrafrecht rücken und – auch wenn kaum konkrete Verdachtsmomente vorliegen – mehr Repression ermöglichen.
In Bezug auf antisemitische Straftaten und Volksverhetzung plant die Koalition im Rahmen der »Resilienzstärkung« der Demokratie den Entzug des passiven Wahlrechts bei mehrfacher Verurteilung wegen Volksverhetzung. Der Tatbestand soll zur besseren Bekämpfung von Antisemitismus sowie »Hass und Hetze« verschärft werden.
Schließlich bestimmt der Koalitionsvertrag auch eine deutliche Kompetenzerweiterung für die drei Geheimdienste des Bundes. Besonders der Verfassungsschutz wird bei der Bekämpfung von Cyberkriminalität, Spionage und Sabotage gestärkt. Geplant ist zudem eine Neuregelung des Datenaustauschs unter den Behörden. Unter Einbeziehung der Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS), die auch für den Einsatz von Staatstrojanern verantwortlich ist, wird eine weitere »spezialisierte technische Zentralstelle« geschaffen. Mit deren Hilfe sollen die Geheimdienste auch im »Cyber- und Informationsraum« patrouillieren.
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