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Von Notz: »Man gibt Sicherheitsbehörden Steine statt Brot«
Für einen neuen Sicherheitsbegriff wegen Russland und den Ausbau deutscher Geheimdienste wegen USA: Ein Gespräch mit Konstantin von Notz (Grüne)
Sie beklagen, man habe sich in den vergangenen Jahrzehnten zu sehr auf die Arbeit ausländischer Geheimdienste verlassen, insbesondere auf die der USA. Wie viele Erkenntnisse prozentual haben diese unter Freunden an Erkenntnissen beigesteuert?
Das kann man nicht in konkreten Prozentpunkten sagen. Die USA können auch nicht gedacht werden außerhalb ihres besonderen Bündnisses mit den Nachrichtendiensten der »Five Eyes«, also Großbritannien, Kanada, Neuseeland, Australien. Da geht es vor allen Dingen um den Zugang zu Internetknotenpunkten, der sogenannten SIGINT. Auch diese Kooperation steht in schwierigen Fahrwassern. Donald Trump ist offensichtlich gewillt, Grundpfeiler der internationalen Sicherheitspolitik der letzten Jahrzehnte einzureißen.
Müsste US-Präsident Donald Trump angesichts der aktuellen Entwicklungen nicht selbst zum Beobachtungsobjekt europäischer Geheimdienste werden?
Das ist mir zu polemisch. Es steht aber ohne jeden Zweifel fest, dass in Washington im Augenblick rechtsstaatlich extrem fragwürdig bis offen feindlich agiert wird. Auch ein Elon Musk, der vehement zum Aufruf einer rechtsextremen Partei in Deutschland rät, wirft viele Fragen im Hinblick auf die Zuverlässigkeit der derzeitigen US-Administration auf. Wenn der Austausch der »Five Eyes« mit Europa auf dem Spiel steht, dann müssen Sie die Frage stellen, wie unsere Behörden technisch und personell ausgestattet sind, um zukünftig eigenständiger agieren zu können.
Bundestag und Bundesrat haben die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben gelockert. Auf Drängen der Grünen soll die kommende Große Koalition auch Milliardeninvestitionen für die Geheimdienste beschlossen haben. Wie hoch sollen diese eigentlich sein?
Das ist nicht beziffert und deswegen stimmt das so pauschal auch nicht. Uns war ein erweiterter Sicherheitsbegriff sehr wichtig: Dazu gehören neben Bundeswehr und Polizei auch Organisationen aus dem Bereich des Bevölkerungsschutzes und die Nachrichtendienste. Wenn es uns ernsthaft darum geht, die Resilienz unserer Gesellschaft insgesamt zu erhöhen, ist es wichtig, all diese Akteure mitzudenken und einzuplanen. Die finanziellen Möglichkeiten dafür haben wir geschaffen.
Konstantin von Notz ist Vorsitzender des für die deutschen Geheimdienste zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremiums. Er war unter anderem innen- und digitalpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen und in den letzten drei Wahlperioden stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion.
Sie fordern mehr qualifiziertes Personal und bessere Technik für die deutschen Geheimdienste. Welche Technik meinen Sie konkret?
Wenn Sie sich allein die Bedrohungslage durch Drohnen angucken, gibt es große Defizite bei deren Erkennung und Abwehr. Das sind Starrflügler, also große Drohnen, die sehr schnell fliegen. Die Aggressivität, mit der Russland diese Dinge fährt, ist brutal. Es kann nicht sein, dass man in Deutschland dagegen als einzige, völlig unverhältnismäßige Methode einen Gepard-Panzer einsetzen kann.
Aber wir sprechen doch über Geheimdienste – das Abschießen von Drohnen wäre Aufgabe der Bundespolizei oder der Bundeswehr?
Für das Erstellen eines Lagebildes sind aber auch Dienste zuständig. Auf jeden Fall das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (MAD), das ja für die Abwehr bei Bundeswehrgeländen zuständig ist. Es benötigt zeitgemäße rechtsstaatliche Möglichkeiten, um sich gegen diese Angriffe zukünftig sehr viel besser zu wappnen.
Gibt es auch in Deutschland Defizite im Bereich der »Signal Intelligence«?
Es gibt Defizite, rechtsstaatlich selbstbestimmt Dinge machen zu können und sich dabei nicht von fragwürdigen privaten Firmen abhängig zu machen. Auf sie weisen wir seit Jahren hin. Damit Behörden ihrem Auftrag tatsächlich nachkommen können, muss man Personal einstellen und Investitionen tätigen.
Das klingt nach dem Einsatz staatlicher Trojaner. Bisher ist es Behörden in Deutschland aber nicht einmal ansatzweise gelungen, eine funktionierende Trojaner-Software zu entwickeln – siehe das BKA.
Genau, man hat durchaus Geld ausgegeben, und das hat nur sehr mittelmäßig funktioniert. Wir sind in Teilen weiterhin von hoch fragwürdigen privaten Anbietern abhängig. Das muss sich ändern.
Dass Sie jetzt Trojaner ins Spiel bringen, ist bemerkenswert – in der 18. und 19. Wahlperiode des Bundestags galten Sie als konsequenter Gegner und haben sogar eine Verfassungsbeschwerde eingereicht.
Wir sehen Trojaner-Technologie als hochgradig problematisch an, vor allem weil es dazugehören kann, dass auf dem Schwarzmarkt gehandelte Sicherheitslücken ausgenutzt, also nicht geschlossen werden. Darüber gibt es eine relevante Gefährdung der IT-Sicherheit nicht nur für die Privatwirtschaft, sondern auch für Behörden und kritische Infrastrukturen wie die Luftsicherheit oder den Zugverkehr.
Aber der Einsatz von Trojanern ist doch auch ein tiefgreifender Eingriff in Grundrechte?
Ohne jede Frage! Das Bundesverfassungsgericht hat dafür klare Vorgaben gemacht. Wenn die eingehalten werden, kann das im Einzelfall gemacht werden. Die Alternative ist willkürliche Massenüberwachung. Die wollen wir nicht. Wir kritisieren vor allem das Ankaufen von Sicherheitslücken durch staatliche Stellen, also mit Steuergeld. Das finanziert am Ende einen kriminellen und problematischen Markt.
Sie sprachen eingangs von einem erweiterten Sicherheitsbegriff, für den Sie sich einsetzen. Bedeutet mehr Sicherheit am Ende nicht auch weniger Freiheit?
Ich habe mich schon immer an dieser recht schlichten Balance-Logik mit zwei Waagschalen gestört. Es ist ja nicht so, dass, wenn Sie alle Freiheit wegnehmen, Sie dann in einem ganz sicheren Land leben. Das Gegenteil ist der Fall: Ohne Freiheit gibt es null Sicherheit. Trotzdem ist es so, dass militante Rechtsextremisten und von nationalistischen Ideologien getriebene Menschen Demokratien und Rechtsstaaten angreifen. Länder wie China, Russland, Iran und Nordkorea agieren gegenüber westlichen Demokratien extrem aggressiv und feindlich. Wenn man sich dagegen besser zu schützen versucht, um damit mehr Sicherheit zu erreichen, dann ist das nicht automatisch weniger Freiheit. Es ist eigentlich die Bedingung dafür, dass man diese Freiheit in der Realität auch verteidigt bekommt.
Auch wenn ich insgeheim eine gewisse Zufriedenheit empfinde, wenn die beschriebenen Gruppen verstärkt überwacht werden, senkt es doch auch die Schwelle, auch andere ins Visier zu nehmen. Ist das nicht ein zu erheblicher Eingriff in deren Freiheit?
Dafür muss es halt klare rechtsstaatliche Vorgaben geben. Wir haben im Augenblick mit der AfD eine rechtsextremistische Partei, die auf dem Sprung ist, stärkste politische Kraft zu werden. Und wenn Sie unseren Rechtsstaat sicherer aufstellen wollen, dann brauchen Sie eben einen komplexen Sicherheitsbegriff, der das eben nicht nur polizeilich oder ausschließlich aus der Perspektive der Bundeswehr sieht. Die Widersprüchlichkeit von so manchem Linken, die Dienste abschaffen zu wollen, sie gleichzeitig aber als stärkste Verbündete bei der Diskussion um ein Verbots-Verfahren ins Feld zu führen, trägt manchmal etwas bizarre Züge.
Seit wann setzt sich die grüne Parteispitze eigentlich so stark für innere Sicherheit ein?
Die Parameter haben sich in den letzten 20 Jahren einfach sehr stark verschoben, das sehen wir gerade in den USA sehr gut. Und wenn wir ein deutsches Geschichtsbuch aufschlagen, sehen wir, dass die Demokratie durchaus verloren gehen kann, wenn ihre Gegner ohne Widerstand agieren können. Dieser Widerstand muss zivilgesellschaftlich organisiert werden – aber auch Behörden müssen handeln ...
… und dabei auf Geheimdienste setzen?
Nachrichtendienste sind in dem Sicherheitsgefüge eines Landes ein durchaus wesentlicher Pfeiler. Sie müssen aber rechtsstaatlich organisiert sein, damit eben nicht ein Unrechtsherrschaftssystem wie in der DDR errichtet wird.
Von den Grünen gab es einmal den Vorschlag eines alternativen Verfassungsschutzes mit zwei Säulen: ein unabhängiges Institut zum Schutz der Verfassung und eine möglichst polizeiferne geheimdienstliche Behörde. Warum wurde dieser Ansatz nicht weiterverfolgt?
Es stimmt nicht, dass davon nichts übrig geblieben ist. Im Gegenteil: Wir sprechen uns weiterhin stark dafür aus, dass die Dienste das große zivilgesellschaftliche Know-how, das es in diesem Bereich zweifellos gibt, gänzlich anders in die eigene Arbeit einbeziehen. Ich würde sogar sagen, dass sowohl der BND als auch das Bundesamt für Verfassungsschutz viele dieser Ideen – eine stärkere Kooperation mit der Zivilgesellschaft, eine engere Anbindung der Wissenschaft – raubmöwig längst übernommen haben, und das ist gut so.
Welche zivilgesellschaftlichen Organisationen sollen denn das unabhängige Institut mittragen? Sind damit Monitoringstellen gegen Rechtsextremismus oder Antisemitismus gemeint?
Genau, mit solchen Einrichtungen und Organisationen muss sehr viel stärker kooperiert und sich ausgetauscht, deren Know-how und auch Kritik angenommen werden.
Wie positionieren sich die Grünen aktuell zum staatlichen Mitlesen verschlüsselter Messenger-Kommunikation – also zur sogenannten Chatkontrolle – und zur Vorratsdatenspeicherung? Letztere soll kommen, heißt es im Koalitionsvertrag von Union und SPD ...
Wir lehnen beides deutlich ab und konnten in der vergangenen Wahlperiode beides, gemeinsam mit der FDP, verhindern. Die Vorratsdatenspeicherung wird von Befürwortern vollkommen ideologisch überhöht. Sie ist mehrfach vor höchsten Gerichten gescheitert, und dass die GroKo jetzt allen Ernstes zum dritten Mal damit um die Ecke kommt und erneut eine evident unverhältnismäßig lange Speicherfrist wählt, ist einfach vollkommen verrückt. Das wird auf jeden Fall beklagt werden – wahrscheinlich wieder erfolgreich. Man gibt den Sicherheitsbehörden dadurch Steine statt Brot. Mit solchen ideologischen Diskussionen kommen wir im Bereich der inneren Sicherheit nicht weiter.
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