Berlin: Bürokratie der Senatsverwaltungen prähistorisch

Senatsverwaltungen sind weit von vollständiger Digitalisierung entfernt

  • Leonie Hertig
  • Lesedauer: 3 Min.
Trotz Digitalisierung werden immer noch Aktenberge benötigt.
Trotz Digitalisierung werden immer noch Aktenberge benötigt.

Die Berliner Bürokratie kann wie ein prähistorisches Wesen erscheinen. Eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Stefan Ziller an den Senat zeigt jetzt, wie die Verwaltung mit dem Übergang in eine digitale Welt zu kämpfen hat. Ziller hatte die jeweiligen Senatsverwaltungen gebeten, jeweils drei der teuersten und arbeitsaufwendigsten Medienbrüche aufzulisten. Medienbrüche sind notwendige Vorgänge, die zum Beispiel erfordern, von Papierdokumenten zu Digitalformularen zu wechseln.

Die Senatswissenschaftsverwaltung meldet beispielsweise, dass alle digital eingegangenen Bafög-Anträge mit allen Anhängen für die Papierakte ausgedruckt werden müssen. Der geschätzte Aufwand bewegt sich laut der Senatsverwaltung zwischen 15 und 90 Minuten pro Tag und Sachbearbeitenden – das Äquivalent von zweieinhalb Vollzeitstellen. Der Papierverbrauch für die analogen Bafög-Akten beläuft sich auf zwei Millionen Blätter. Abhilfe könnte die bereits geplante Erweiterung der E-Akten-Funktion schaffen, um eine voll digitalisierte Arbeitsweise zu ermöglichen.

Dagegen nannte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, dass postalisch eingereichte Anträge gescannt werden müssen, »während online eingereichte nochmals ausgedruckt und in Papierform abgelegt werden«. In Planung sei, das Antragsverfahren zu standardisieren und digitalisieren.

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Bei Erbschaft und Schenkung ist die digitale Steuererklärung für die Finanzämter keineswegs digital. Die eingehenden Erklärungen müssten einmal im Monat ausgedruckt, gebündelt und über die Hauspost übermittelt werden, teilt die Finanzverwaltung mit. »Die Bearbeitung der Erklärung und die Eingabe der Werte erfolgt ausschließlich manuell«, heißt es. Zusätzlich liege die ausgedruckte Elster-Erklärung den Mitarbeitenden nur in Code-Text vor und sei daher nicht benutzerfreundlich. Auch sei die Eingabe der Daten aus den schwer lesbaren Papierunterlagen fehlerbehaftet, wenn sie durch Mitarbeiter*innen mit wenig steuerlichem Fachwissen erfolge. Mittelfristig strebe man an, sogenannte robotergestützte Prozessautomatisierung in die Arbeitsprozesse einzuführen. Dabei übernehmen Softwareroboter repetitive manuelle Tätigkeiten.

Auch die Verkehrsverwaltung meldet Schwierigkeiten mit digitalen Akten. Hier sind aber die notwendigen Unterschriften von jährlich 35 000 und 40 000 Anträgen bei Schwerlasttransporten schuld. Diese seien digital nicht möglich. Daher müsse für die Bearbeitung jeder Akte ausgedruckt, unterschrieben und dann wieder eingescannt werden. Eine digitale Signatur könne hier die Lösung sein.

»Die Bearbeitung der Erklärung und die Eingabe der Werte erfolgt ausschließlich manuell«

Senatsverwaltung für Finanzen

Viele der angefragten Senatsverwaltungen konnten den Arbeitsaufwand und die Kostenauswirkung nicht beziffern, nannten aber Personalkosten, Druckkosten, Postkosten und Lagerkosten. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung etwa schätzte die Kosten des Medienbruchs bei der Zustellung von Wohngeldbescheiden auf rund 150 000 Euro jährlich. Einige zehntausend Euro gebe man für die Portokosten bei Baugenehmigungen aus.

Anfragesteller Ziller sagt »nd«, er habe die Anfrage gestellt, da er sich recht stark mit der Digitalisierung beschäftige. »Ich stoße immer mehr auf Fälle, für die sich niemand verantwortlich fühlt.« Er fordere ein zentrales Budget für Fachverfahren und habe dies der Senatskanzlei für 2026/2027 nahegelegt. Von Martina Klement, Staatssekretärin für Verwaltungsmodernisierung, ist bis zum Redaktionsschluss kein Statement eingegangen.

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