Großbritannien: Gleichstellung nicht für trans Frauen

Höchstrichterliches Urteil lässt Gender-Kontroverse im Vereinigten Königreich wiederaufleben

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 4 Min.
Aufschrift in der Nähe des Parlaments in London
Aufschrift in der Nähe des Parlaments in London

Vor dem Supreme Court in London knallten kurz vor Ostern die Champagnerkorken: Großbritanniens Oberstes Gericht hatte in einem wegweisenden Urteil einstimmig entschieden, dass sich das Gleichstellungsgesetz nur auf das biologische Geschlecht bezieht. Das heißt: Transfrauen werden unter diesem Gesetz nicht als Frauen geschützt. »Heute haben die Richter bestätigt, was wir schon immer wussten, nämlich dass Frauen durch ihr biologisches Geschlecht geschützt sind«, sagte Susan Smith, Mitgründerin der Kampagne For Women Scotland, die den Fall vors Gericht gebracht hatte.

Supreme-Court-Richter Patrick Hodge betonte bei der Urteilsverkündung, dass es nicht als Sieg für die eine oder andere gesellschaftliche Gruppe interpretiert werden sollte. Aber dennoch war der Jubel unter genderkritischen Aktivistinnen und Aktivisten groß. Die Klägerinnen hätten mit ihrem Sieg »die Rechte von Frauen und Mädchen in ganz Großbritannien geschützt«, schrieb Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling.

Der Rechtsstreit begann 2018. Damals erließ die schottische Regierung ein Gesetz, laut dem die Hälfte der Aufsichtsräte in Unternehmen Frauen sein müssen. Sie legte fest, dass dies auf alle Menschen zutrifft, die sich als Frauen identifizieren. Die Kampagne For Women Scotland, die sich daraufhin formierte, focht diesen Entscheid an und forderte, dass einzig das biologische Geschlecht zählen sollte. Daraufhin spezifizierte die Regierung des Landteils in Edinburgh, dass mit Transgenderfrauen diejenigen gemeint sind, die über eine amtliche Bestätigung ihres Geschlechterwechsels verfügen. For Women Scotland zog auch dagegen vor Gericht. Der Rechtsstreit eskalierte und endete schließlich vor dem Supreme Court in London.

Das Urteil scheint auf den ersten Blick klar. Die zwölf Richter hatten eine der zentralen Fragen im Gender-Kulturkampf – »Was ist eine Frau?« – beantwortet: In Bezug auf das Gleichstellungsgesetz von 2010 zählt einzig das biologische Geschlecht. Aber bezüglich der praktischen Konsequenzen für Transgendermenschen bestand Uneinigkeit unter den Juristen. Richter Hodge sagte, dass Transgendermenschen bereits geschützt werden, »nicht nur vor Diskriminierung aufgrund von Geschlechtsumwandlung«, sondern auch gegen »direkte und indirekte Diskriminierung in ihrem angenommenen Geschlecht«.

»Transmenschen fürchten, dass ihr Existenzrecht jetzt bedroht ist.«

Maggie Chapman Grüne Partei Schottlands

Dennoch wird das Urteil wohl zur Konsequenz haben, dass Transfrauen keinen Zugang zu Räumen oder Dienstleistungen haben, die ausschließlich für Frauen bestimmt sind – zum Beispiel in Krankenhäusern oder Selbsthilfegruppen für Missbrauchsopfer. Die Gleichstellungskommission EHRC kündigte nun an, dass sie infolge des Urteils ihre Leitlinien ändern werde, etwa für den staatlichen Gesundheitsdienst NHS oder für Gefängnisse. Die neuen Regelungen werden voraussichtlich im Sommer in Kraft treten. Kishwer Falkner, die Vorsitzende der EHRC, bezeichnete das Urteil als »enorm folgenreich«. Aber es darf laut der Behörde nicht dazu führen, dass »Transmenschen mehr Missbrauch ausgesetzt sind«.

Fürsprecher von Transrechten befürchten, dass genau das passieren wird. Für sie ist das Urteil ein heftiger Rückschlag. Maggie Chapman, Abgeordnete in Edinburgh für die Grüne Partei Schottlands, sagte gegenüber der BBC, dass das Urteil »den Kulturkampf schüren« werde; viele Transmenschen hätten Angst, dass sie Zugang zu vielen Dienstleistungen, die sie seit Jahrzehnten nutzen, auf einmal verlieren könnten. Dass Women For Scotland und ihre Anhänger den Entscheid als Triumph feiern, sei ein schlechtes Zeichen. »Transmenschen fürchten, dass ihr Existenzrecht jetzt bedroht ist«, sagte Chapman.

Ähnlich äußerte sich auch Kerrie Meyer. »Ich wurde als Mann geboren. Gemäß dem Gesetz bin ich eine Frau. Ich kleide mich wie eine Frau, ich benehme mich wir eine Frau. Ich bin eine Frau«, so die 77-Jährige. Es sei »völlig lächerlich«, zu erwarten, dass sie jetzt in der Öffentlichkeit ihr Verhalten ändern werde.

Die Richterin Victoria McCloud, die ihr Geschlecht vor über zwei Jahrzehnten änderte und heute in Irland lebt, warnt, dass Transmenschen nach dem Urteil um ihre Rechte kämpfen müssen. »Ich glaube, es wird der Startschuss sein für eine offeneren Vorstoß, die Rechte von Transgendermenschen zu beschränken«, sagte sie gegenüber dem »Guardian«. Bereits jetzt herrschten »beängstigende Zeiten« für Transmenschen. Wenn sie heute noch immer in Großbritannien leben würde, dann würde sie es vermeiden, eine öffentliche Toilette zu benutzen. »Ich weiß im Moment nicht, ob ich ins Männer- oder ins Frauenklo gehen soll.«

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