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Mein Staubsauger, der Spitzel
Wie intelligente Haushaltstechnologien für Ermittlungen in Kriminalfällen genutzt werden könnten
US-Bundesstaat Arkansas, 2017: Untersuchungen im Fall James Bates werden fallen gelassen. Behörden hatten ihn des Mordes verdächtigt. Die Indizien: Aufnahmen eines intelligenten Lautsprechers von Amazon und Daten eines intelligenten Wasserzählers. Bates hätte zum Todeszeitpunkt eines Freundes in seiner Wohnung verdächtig viel Wasser verbraucht, mutmaßlich, um den Tatort zu reinigen. Mit dem Fall tauchten neue Fragen auf: Wie können Ermittlungsbehörden intelligente Technologien im Haushalt nutzen? Was bedeutet das für die Persönlichkeitsrechte Betroffener? Und was für die Verteilung der Datenmacht?
Niedersachsen, Deutschland, 2025. Das Projekt »Smart Home Forensics« geht an den Start. Ein Team der Hochschule Ostfalia untersucht, inwiefern intelligente Techniken in Haushalten künftig genutzt werden könnten, um die Ermittlungsarbeit in Kriminalfällen zu unterstützen. Das Team konzentriert sich auf Einbruchdiebstähle, weil es dort »hohe Fallzahlen und geringe Aufklärungsraten« gibt, wie Felix Büsching von der Ostfalia gegenüber »nd« erklärt. Dafür baut das Team Szenarien mit unterschiedlichen Geräten im Labor und kontrolliert eigene Datensätze, die dann algorithmisch und KI-basiert getestet werden. Künftig soll das Projekt auch in die Praxis übertragen werden. »Aber so weit sind wir noch nicht«, sagt Büsching.
»Gesamtgesellschaftlich bekäme die Polizei so eine ziemlich große Datenmacht.«
Felix Butz Humboldt-Universität Berlin
Unter »Smart Home«, also »Intelligentes Zuhause«, fallen Technologien, die den heimischen Alltag unterstützen sollen. So zum Beispiel Bewegungsmelder, Staubsaugerroboter, Thermostate oder die bereits erwähnten Lautsprecher und Wasserzähler. Diese Geräte sammeln Daten. Im Fall Bates zum Beispiel, wie hoch der Wasserverbrauch in welchem Zeitraum war.
Zuletzt sorgte der Wohnkonzern Vonovia mit digitalen Rauchmeldern für Aufsehen, die, so die Vermutung, auch Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Kohlenmonoxid messen können.
Grundsätzlich gehören Kund*innen dieser Dienstleistungen auch die Daten; sie können sowohl deren Herausgabe als auch deren Löschung einfordern. Doch je nach Datenschutzbestimmung divergieren die Nutzungsrechte der Konzerne und Hersteller. So können sie Daten nutzen, um ihre Produkte zu »verbessern« oder zielgerichtete Werbung zu schalten. Oft besteht auch erst nach einer Installation die Möglichkeit, die Datennutzung einzuschränken.
Die Auswertung der Geräte im Zuge forensischer Ermittlungen ist ein anderer Fall. Denn Strafverfolgungsbehörden haben zumeist weiter reichende Befugnisse. Im Gegensatz zum privat- oder zivilrechtlichen Kontext gibt es hier kein individuelles Datenschutzrecht.
Bisher ist der Einsatz der intelligenten Geräte durch die deutsche Polizei von Zufällen abhängig. Prinzipiell gibt es inzwischen Personen in der IT-Forensik, die sich mit digitalen Spuren besser auskennen als der durchschnittliche Polizist und dementsprechend an Tatorten gezielter Geräte auswählen, einpacken und auswerten können. Ob diese aber Teil der Einsatzeinheit sind oder die betreffende Einheit über die technische Ausstattung verfügt, ist im Vorfeld oft unklar.
Die Erfahrung zeige, dass es sich bei der Nutzung der Daten bislang um Einzelfälle handelt. Bisher gebe es demnach laut Paragraf 94 der Strafprozessordnung keine Einschränkungen bei der Beschlagnahmung von Gegenständen zu Beweiszwecken. Die Auswertung von Verkehrsdaten, Nutzungsdaten digitaler Dienste oder Telekommunikationsüberwachung sind dagegen nur bei »Straftaten von im Einzelfall erheblicher Bedeutung« oder schweren Straftaten zulässig – das wären etwa Mord oder Totschlag, Geldwäsche, Bestechlichkeit und Bestechung oder Bandendiebstahl.
Prinzipiell gibt es darüber hinaus den sogenannten Kernbereichsschutz. Dieser besagt, dass es einen Bereich der privaten Lebensführung gibt, in den der Staat unter keinen Umständen eingreifen darf. Auch Strafvollzugsbehörden müssen beachten, dass sie beispielsweise keine Tagebucheinträge verarbeiten dürfen.
Allerdings, gibt Felix Freiling, Informatikprofessor der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, zu bedenken: »Hinter jeder Datei, die Tagebuch.doc heißt, kann sich Inkriminierendes verbergen.« Und dann greifen wiederum andere Befugnisse. Generell gelte bei der Datenerhebung das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, so Freiling. Behörden dürfen nur auswerten, was zur Tataufklärung notwendig ist und zugleich nicht zu tief in die Grundrechte der Betroffenen eingreift.
Das ist jedoch eine Debatte, die in Deutschland in Bezug auf intelligente Haushaltsgeräte noch gar nicht geführt wird. Bisher erschöpft sich die Diskussion auf die Beschlagnahme von Smartphones, Tablets oder Notebooks – und diese ist nach erwähntem Paragraf 94 der Strafprozessordnung gestattet.
»Das halten ich und viele andere Jurist*innen für absolut unzureichend«, so Felix Butz zu »nd«. Er wurde kürzlich zum Thema Polizei und Massendaten promoviert. Zumindest die zwangsweise Nutzung von Daten intelligenter Geräte, die die berechtigte Person nicht herausgebe, sei seiner Ansicht nach regelungsbedürftig. Gesetzliche Lücken beträfen außerdem die Fragen, wie Datenmissbrauch verhindert werden könne, bei welchen Straftaten ein Zugriff auf derlei Daten zulässig sei, wie Betroffene über die Nutzung ihrer Daten informiert werden müssten oder wann die Daten als Beweismittel zulässig seien.
Smart-Home-Technologien befinden sich für die Kriminalistik grundsätzlich in einem »Kontinuum zwischen nützlich und weniger nützlich«, meint Butz. Ein Profilbild einer unbefugt in einer Wohnung befindlichen Person könne Ermittlungen weiterbringen. Die Frage, wann das Licht angegangen ist, sei dagegen ein »ziemlich schwaches Indiz«. Deswegen, und angesichts der »teilweise eher unterentwickelten technischen Kompetenz« der Polizei, sei nicht anzunehmen, dass bei Einbrüchen künftig alle intelligenten Haushaltsgeräte ausgewertet werden, sagt Butz in Hinblick auf das Forschungsprojekt der Ostfalia. Die Interpretation der Daten sorge zudem für weitere Herausforderungen.
Der derzeitige Vorgang zeigt aber noch ein weiteres Problem auf: »Gesamtgesellschaftlich bekäme die Polizei so eine ziemlich große Datenmacht.« Denn sie sammle über die Zeit Daten aus vielen verschiedenen intelligenten Geräten. In einer zusammenstellenden Analyse der Daten könne sie so breite Einblicke in die Haushalte gewinnen. »Diese kollektiv-aggregierte Ebene polizeilichen Informationshandelns ist im gegenwärtigen Recht noch zu wenig berücksichtigt.«
Eine Möglichkeit zu reagieren gibt es für Betroffene, so Informatikprofessor Freiling: »Wenn man denkt, dass etwas unverhältnismäßig war, kann man Beschwerde einlegen und das prüfen lassen. Das ist das gute Recht von Menschen, wenn sie von einem Strafverfahren betroffen sind.« Allerdings erst, wenn die Daten bereits erfasst wurden.
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