Als die Fahne des Vietcong über Notre-Dame wehte

Wie drei Schweizer Friedensaktivisten weltweit Schlagzeilen machten mit ihrem Protest gegen den Krieg der USA in Indochina

  • Bettina Richter
  • Lesedauer: 4 Min.
20. Januar 1969: Stundenlang flatterte auf Frankreichs berühmtester Kathedrale das rotblaue Banner mit dem gelben Stern.
20. Januar 1969: Stundenlang flatterte auf Frankreichs berühmtester Kathedrale das rotblaue Banner mit dem gelben Stern.

Sie schrieben Geschichte, ohne namentlich in die Geschichtsbücher einzugehen: Bernard Bachelard, Noé Graff und Olivier Parriaux. Die drei Schweizer hissten in einer kalten Januarnacht im Jahr 1969 auf Notre-Dame die Fahne der südvietnamesischen Befreiungsbewegung FNL. Als Internationalisten wollten sie ein Zeichen setzen. Sie protestierten gegen die USA, die seit 1965 Vietnam in die Steinzeit zurückbomben wollten. Aber in erster Linie bekundeten sie damit ihre Solidarität mit den Vietnamesen. Die Nachricht und die Fotos gingen damals um die Welt, ohne dass diese erfuhr, wer dort auf Frankreichs berühmtester Kathedrale das rotblaue Banner mit dem gelben Stern angebracht hatte. Und vor allem: wie?

Der unmittelbare Anlass für die spektakuläre Aktion war der Beginn der vierseitigen Gespräche in Paris zur Beendigung des Krieges in Vietnam und die Amtseinführung von US-Präsident Nixon in Washington am 20. Januar. Die Friedensbewegung in den USA hatte mobil gemacht, denn Johnsons Nachfolger im Weißen Haus würde vermutlich keine andere Vietnam-Politik machen. Dr. Bill Zimmerman gehörte zu den Organisatoren der Protestaktionen, die Nixons Inthronisation begleiteten. »Unsere Stimmung hob sich, als wir die Titelseite der New York Times mit den beiden Fotos sahen. Über Notre-Dame in Paris, dem Ort der Verhandlungen zur Beendigung des Krieges in Vietnam, war eine Flagge der südvietnamesischen Befreiungsbewegung gehisst worden. Seit vier Jahren hatten wir in den USA für die Beendigung dieses Krieges demonstriert und protestiert. Und andere taten das auf der ganzen Welt – das war der sichtbare Beweis. Wir wurden ermutigt, noch entschlossener diesen Kampf fortzusetzen – solange dies notwendig sein würde.«

Auch das »Neue Deutschland« meldete damals: »Auf der berühmten Pariser Kathedrale Notre-Dame wehte am Sonntagmorgen in 100 Metern Höhe die Fahne der FNL. Feuerwehrleute mussten nach einigen Stunden erfolgloser Versuche, die Fahne zu entfernen, kapitulieren. Selbst mithilfe von Feuerwehrleitern war es unmöglich, zu der Fahne zu gelangen. Das Banner konnte erst mithilfe von Hubschraubern heruntergeholt werden.«

Am 1. Mai vor 50 Jahren rollten die Panzer der südvietnamesischen Befreiungsbewegung FNL durch Saigon. Es war der Schlusspunkt unter dem antikolonialen Krieg, der dreißig Jahre gedauert hatte. Und es war das Ende der Teilung des Landes am 17. Breitengrad, denn nach der Indochinakonferenz 1954 in Genf war das Land geteilt worden. Das Regime in Südvietnam, von der Kolonialmacht Frankreich installiert und von der Schutzmacht USA instrumentalisiert, verweigerte die Teilnahme an gesamtvietnamesischen Wahlen.

Vor diesem Jahrestag nun erschien der Bericht jener drei Friedensaktivisten, die damals weltweit dieses Schlagzeilen machende Zeichen setzten. Inzwischen hochbetagt – alle sind jenseits der Achtzig – berichten sie erstmals auf Deutsch über jene spektakuläre Aktion in Paris. Man liest, wie sie sich wochenlang in der Bibliothek mit dem Studium einschlägiger Bücher darauf vorbereiteten, in Bern und Lausanne auf Kirchturmspitzen trainierten und schließlich am 18. Januar 1969 in ihre Ente stiegen und von Lausanne nach Paris fuhren. Stundenlang flatterte das Banner der Vietcong über der französischen Metropole, weithin sichtbar, eine Schmach für die Mächtigen, ein Triumph für die vermeintlich Schwachen. Keiner traute sich hinauf auf die Turmspitze, um die Fahne herunterzuholen. Es ging nur abwärts: mit dem Hubschrauber, von dem sich ein Feuerwehrmann abseilte.

Das ist eine Episode, eine kleine Geschichte im Kalten Krieg, der in Vietnam ein heißer war. Ein Stellvertreterkrieg, weil hinter den Vietnamesen die halbe und hinter den USA allenfalls die westliche Welt stand, zumindest deren dort herrschende Klasse. Der Bericht von Parriaux, einem emeritierten Professor, dem Weingutbesitzer Graff und dem ehemaligen Sportlehrer Bachelard ist allerdings mehr als der Bericht von drei Veteranen, die sich an ihre bewegte Jugendzeit erinnern. Sie binden ihre seinerzeitige Aktion in den historischen Kontext ein, erhellen scheinbar beiläufig und unaufdringlich den Hintergrund. So lässt sich wunderbar aufklären, Vergangenheit in die Gegenwart holen, ohne den pädagogisch-propagandistischen Finger zu heben. Ihre Geschichte erschien im reanimierten Deutschen Militärverlag, der sich die Beifügung »Antikriegsverlag« gegeben hat. Dem anschwellenden Kriegsgeschrei müsse mit Friedenspropaganda entgegengetreten werden, begründeten die Buchmacher die Revitalisierung des Verlages und den Neubeginn mit diesem Buch. Das gelingt überzeugend.

Übrigens, der damals erklommene Dachreiter brannte am 15. April 2019 wie eine Fackel. Im Buch ist ein Foto, auf dem der Sturz des Kreuzes, an dem einst die FNL-Fahne wehte, deutlich zu sehen ist. Man kann dies als Verbindung in die Vergangenheit wie auch als Menetekel, als ernsten Mahnruf interpretieren.

Bernard Bachelard/Noé Graff/Olivier Parriaux: Vietcong in Paris. Militärverlag – Antikriegsverlag, 112 S., br., 14 €.

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