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IG Metall zur Zeitenwende: Abrüsten, ausrüsten, aufrüsten

Die Berliner Industrie beginnt, auf Rüstungsproduktion umzustellen. Widerstand von Gewerkschaften bleibt vorerst aus

Bereits im Dezember 2023 protestierten propalästinensische Gruppen vor dem Werk der Rheinmetall-Tochter Pierburg in Berlin. Damals wurden hier noch vergleichsweise harmlose Autoteile gefertigt.
Bereits im Dezember 2023 protestierten propalästinensische Gruppen vor dem Werk der Rheinmetall-Tochter Pierburg in Berlin. Damals wurden hier noch vergleichsweise harmlose Autoteile gefertigt.

Als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine hat der Deutsche Bundestag im Juni 2022 ein Sondervermögen über 100 Milliarden Euro für eine verbesserte Ausstattung der Bundeswehr beschlossen. Das Geld ist mittlerweile komplett verplant. Ein Großteil davon wird ins Ausland fließen, doch auch die Auftragsbücher deutscher Unternehmen oder deutscher Dependancen von internationalen Unternehmen dürften gut gefüllt sein, etwa um Panzer und vor allem Schiffe zu beschaffen. Dass die Schuldenbremse für Rüstungskredite weitgehend aufgehoben ist, wird diese Entwicklung in die Zukunft fortschreiben. Beschäftigte in Deutschland werden also zunehmend mit der Produktion von Rüstungsgütern und deren Komponenten zu tun haben.

Ganz anders als der boomenden Rüstungsindustrie geht es der deutschen Wirtschaft in der Fläche. Jüngst prognostizierte das deutsche Wirtschaftsministerium für 2025 eine stagnierende Wirtschaft, nachdem das Bruttoinlandsprodukt in den beiden vergangenen Jahren leicht geschrumpft war. Die Unternehmen begegnen dem mit Stellenabbau und Standortaufgabe.

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Vor diesem Hintergrund bringt sich die wachsende Rüstungsbranche in Stellung, um Industriestandorte und Fachkräfte von kriselnden Unternehmen zu übernehmen. Wer an der Stückzahl drehen will, braucht entsprechende Produktionskapazitäten und Personal, allein Rheinmetall will in den kommenden Jahren um 5000 Stellen aufstocken.

Laut einer beidseitigen Absichtserklärung sollen bis zu 100 Mitarbeiter*innen des Automobilzulieferers Continental vom Bremsenwerk in Gifhorn zur neu entstehenden Rheinmetall-Munitionsfabrik in die Lüneburger Heide wechseln. Der deutsch-französische Panzerbauer KNDS hat das Eisenbahnwerk in Görlitz vom französischen Zugbauer Alstom übernommen. 580 der 700 Beschäftigten will KNDS übernehmen. Statt Doppelstockwagen und Straßenbahnen sollen sie künftig den mit dem Sondervermögen bestellten Kampfpanzer Leopard 2 fertigen.

Diese Entwicklung macht auch vor den Toren der Hauptstadt nicht halt. Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie, eine landeseigene GmbH der Wirtschaftsförderung, kennt 50 Beispiele von Start-ups etwa aus den Bereichen Optik, Photonik und Medizintechnik, die Lösungen sowohl für zivile als auch militärische Zwecke entwickeln. Dass Europa und Deutschland ihre Verteidigung in die eigene Hand nehmen, merke man auch in der Wirtschaft, sagte Stefan Franzke, Geschäftsführer von Berlin Partner, dem RBB.

In der Start-up-Szene nach technologischer Innovation fischen will auch der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr (CIHBW). »Der Cyber Innovation Hub bringt uns auf die Überholspur, wenn es um das Ausloten technischer Möglichkeiten und den Austausch mit meist zivilen Unternehmen vom Start-up bis zum Großkonzern geht«, beschreibt Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr das Projekt. Unternehmen und Einzelentwickler*innen können ihre Ideen dem CIHBW pitchen. Eine der Zielvorstellungen: Rüstung neu denken als »Software Defined Defence (SDD)«. Am Ende sollen alle Software-Lösungen im Bundeswehr-App-Store zusammenlaufen, über den dann zentral gesteuert und zeitnah Updates bereitgestellt werden. SDD sei »das Update für unsere Siegfähigkeit«.

Ende Februar sorgte ein weiterer Schauplatz für Aufmerksamkeit. Rheinmetall teilte mit, das Werk seiner Tochtergesellschaft Pierburg in den Unternehmensbereich Weapon und Ammunition zu überführen. Die 320 Beschäftigten sollen »neben den Aktivitäten in der Brennstoffzellentechnologie künftig überwiegend mechanische Komponenten für den militärischen Bedarf fertigen«, teilt der Konzern »nd« mit. Die Umstellung erfolge zur Auslastung des Werks und zur Sicherung der Arbeitsplätze.

Das erarbeitete Konzept werde nun mit den Belegschaftsvertretern abgestimmt. Viele der Beschäftigten sind in der IG Metall organisiert. Hier gilt der Branchentarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie, der gute Löhne garantiert. Erst im vergangenen Jahr hatten Gewerkschaft und Betriebsrat den Einstieg von Pierburg in die Wasserstofftechnologie als großen Schritt Richtung Dekarbonisierung gefeiert. »Hier wird Zukunft organisiert, damit wir auch weiterhin gute Industriearbeitsplätze in Berlin haben«, hatte der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Berlin im Februar 2024 erklärt.

Der öffentlich wahrnehmbare Protest gegen die neuerliche Umstellung beschränkt sich derweil auf einen Teil der radikalen Linken. Für den 10. Mai mobilisieren vor allem Jugendverbände der Linkspartei und kommunistische Gruppen zu einer Demonstration unter dem Motto »Soziales statt Aufrüstung! Keine Rheinmetall-Waffenproduktion im Wedding!«. Gewerkschaften sind hier nicht angekündigt.

»Die Linie ist im Zweifel immer Frieden«, hatte Jan Otto, Chef der IG Metall Berlin, vergangenes Jahr im Interview mit »nd« gesagt. Aber die Welt sei nicht kriegsbefreit. »Im Fall der Fälle möchte ich schon, dass wir uns verteidigen können. Und dann produzieren wir den Kram schon lieber hier, wenn er denn produziert werden muss.« So hatte sich Otto auch zuletzt geäußert und dabei auf gesellschaftliche Umfragen verwiesen, die diese Richtung bestätigen würden.

Ähnlich hatte sich Dirk Schulze, Bezirksleiter der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen, zur KNDS-Übernahme in Görlitz geäußert. »Sicherlich sind nicht alle glücklich über die Umstellung auf eine Fertigung von Wehrtechnik«, hatte Schulze gesagt. Er könne das verstehen. »Unbestreitbar aber ist, dass wir – leider – in diesen Zeiten diese Produktion benötigen.« Für die Beschäftigten vor Ort sei das eine gute Nachricht.

Das Verhalten der IG Metall scheint zumindest in Teilen der eigenen Beschlusslage zu widersprechen. Der letzte Gewerkschaftstag schrieb noch einmal mit großer Mehrheit fest, dass sich die Organisation für Rüstungskonversion einsetzen solle, also für den Umbau der Produktion von militärischen zu zivilen Produkten. Die Friedensbewegung solle neu aufgestellt werden.

»Im Fall der Fälle möchte ich schon, dass wir uns verteidigen können.«

Jan Otto IG Metall Berlin

Schulze und Otto waren aufgrund der Osterferien nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Doch der Bundesvorstand der IG Metall antwortete »nd«. Er verweist zur Erklärung auf die Satzung, aus der einerseits resultiere: »Ohne Wenn und Aber für Frieden, Abrüstung und Völkerverständigung.« Zum Organisationsbereich der IG Metall gehörten aber auch die wehr- und sicherheitstechnische Industrie, die Interessen der dort arbeitenden Kolleg*innen müsse die Gewerkschaft vertreten. »Auf den Punkt gebracht: Es geht nicht um Aufrüstung, sondern um Ausrüstung«, um industriepolitische Fragen im Kontext der verfassungsgemäßen Landes- und Bündnisverteidigung, teilte der Vorstand mit.

Auch der Vorstand beruft sich auf die regalfüllende Beschlusslage der Organisation. So hat der letzte Gewerkschaftstag ebenso verabschiedet, dass die »sicherheits- und verteidigungspolitische Integration im Sinne europäischer Souveränität« eine nicht unerheblich Rolle spiele. Dazu gehöre insbesondere »die Rüstungszusammenarbeit und die notwendige Ausrüstung der Bundeswehr, die ihren verfassungsgemäßen Kernauftrag der Landes- und Bündnisverteidigung erfüllen muss«.

Ein solch widersprüchliches Regelwerk lässt denn auch Raum für allerlei Interpretationen. Für Abrüstungswünsche der Friedensbewegten und für diejenigen, die zuallererst die Arbeitsplätze gesichert sehen wollen. Mit großem Widerstand der IG Metall müssen Unternehmen, die künftig auf Rüstung umstellen wollen, aber wohl nicht rechnen.

Damiano Valgolio ist Sprecher für Wirtschaft der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und Mitglied der IG Metall. Als Anwalt bietet er für die Gewerkschaft Rechtsberatungen an, vertritt sie zuweilen vor Gericht. Die beginnende Hinwendung der klassischen Industrie und neuer Unternehmen zur Rüstungsproduktion sei dramatisch, sagt Valgolio zu »nd«.

Die Produktion von Rüstungsgütern sei unter zwei Gesichtspunkten falsch. Erstens sei Krieg immer mörderisch und gehe zu Lasten der einfachen Leute, der Arbeiter und der Gewerkschaftsmitglieder, wohingegen die Reichen profitierten. Außerdem sei sie nicht nachhaltig – es sei denn, man wolle sich darauf einrichten, dass die Kriege nicht nur eine Phase darstellen, sondern 20 bis 30 Jahre dauern und sich noch ausweiten, sagt Valgolio.

Bei Pierburg könne man im Kleinen sehen, sagt der Linke-Politiker, dass die Umstellung auf Rüstungsgüter die Arbeitsplätze nur kurzfristig sichere. »Sie ist ein süßes Gift, denn die gestiegene Nachfrage nach den Produkten ergibt sich im Wesentlichen aus dem antizipierten Zukauf der Bundesregierung.« Die Verantwortlichen würden versäumen, den Beitrag zum eigentlich eingeschlagenen Weg, zur klimaneutralen Transformation der Mobilität, auszubauen. Deutschlands jüngere wirtschaftliche Misere liege in Teilen darin begründet, dass man über Jahre die ökologische, nachhaltige Transformation verschlafen habe. »Mit der Wiederentdeckung der Rüstungsindustrie schwenkt die Wirtschaft erneut in diese Logik um«, kritisiert Valgolio.

»Die Beschlusslage der IG Metall ist klar: für den Erhalt der Arbeitsplätze und die Konversion militärischer Produktion in die Produktion ziviler Güter. Auch weil nur das nachhaltig Beschäftigung sichert.« Im Moment sehe er bei den Betrieben im Organisationsbereich der IG Metall leider eine umgekehrte Entwicklung, sagt Valgolio.

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