Mit Dialyse Geld verdienen

Wie Ärzte und Gerätehersteller eine bestimmte Therapie forcieren

  • Bernd Schneller
  • Lesedauer: 4 Min.
Kürzlich hat sich ein bekannter deutscher Nierenarzt aus Ulm in einem Artikel in der Fachzeitschrift »Medizinische Klinik« Gedanken zum Thema »Geld und Dialyse« gemacht. Darin beschreibt F. Keller, wie finanzielle Anreize dazu führen, dass eine bestimmte Therapie bevorzugt wird. Der Artikel brachte ihm eine Anzeige seiner Berufskollegen ein.

Menschen ohne ausreichende Nierenleistung brauchen zum Überleben einen Organersatz. Zur Verfügung stehen die Hämodialyse (Blutwäsche), Peritonealdialyse (Bauchfelldialyse) oder die Nierentransplantation. Die Hämodialyse gehört zu den teuersten Behandlungsverfahren in der Medizin. In Deutschland werden z. Zt. knapp 63 500 Menschen mittels Hämodialyse behandelt, und ihre Zahl steigt. 2050 rechnet man mit 200 000 Dialysepatienten.

Die Jahreskosten betragen ca. 55 000 Euro€ pro Patient. Die Anbieter der Dialysetherapie verdienen recht gut an dieser Behandlung. Zu ihnen gehören Nephrologen (Nierenärzte), die Geräteindustrie (Fresenius, Gambro, Nikkiso, Braun u.a.) und die Hersteller des Hormons Erythropoietin, das fast alle Dialysepatienten verabreicht bekommen. Finanzielle Anreize gewährleisteten einen hohen Standard, machten es aber für den Nephrologen materiell unattraktiv, die Dialyse zu vermeiden und nach Wegen zu suchen, die sie vermeidbar machten, schreibt Keller in der Fachzeitschrift: »Ein neuer Dialysepatient kostet so viel, wie ein Arzt verdient.« Da nicht mehr Geld ins Gesundheitssystem hinein- kommt, müsste für jeden neuen Dialysepatienten rechnerisch eine Arztstelle gestrichen werden.

Der Ulmer Professor meint, dass sich die Zahl der Dialysepatienten in den neuen Bundesländern von 1989 bis 1994 verdoppelt habe, sei dem fördernden Effekt des Geldes zuzuschreiben. »Dass man mit Dialyse Geld verdienen kann, schafft Anreize, Patienten an die Dialyse zu nehmen, entsprechende Vorsorgungskapazitäten mit Dialysezentren vorzuhalten und die Dialyse auf qualitativ hohem Niveau durchzuführen.« Keller geht davon aus, dass niedergelassene Nephrologen eine Gewinnspanne von mindestens zehn Prozent beim Durchführen der Dialyse haben. Die reale Spanne dürfte mit 20 bis 30 Prozent noch deutlich darüber liegen. Der Arzt kann sich über jeden neuen Dialyse-Patienten freuen, so Keller. Dieses Argument versteht auch der medizinische Laie. Medizinisch ist nicht eindeutig klar, wann jemand auf die Dialysebehandlung angewiesen ist. Einige Fachleute empfehlen eine frühzeitige Behandlung. Klar belegt ist dieser Vorteil nicht und außerdem definiert man »frühzeitig« je nach Standpunkt unterschiedlich. Wenn sich die Einnahmen des Nephrologen durch einen frühen Behandlungsbeginn erhöhen, dürfte sich mancher Arzt schwer tun, den Behandlungsbeginn hinauszuzögern, wie es in einigen Fällen mit Medikamenten möglich ist.

Die meisten Dialysepatienten wünschen sich eine Nierentransplantation, um nicht mehr auf die Dialyse angewiesen zu sein. Unter ökonomischen Aspekten verursacht die Transplantation deutlich weniger Jahreskosten als die Dialysebehandlung. In Deutschland werden pro Jahr ca. 2300 Nierentransplantationen durchgeführt; bei einer Zahl von 63 500 Dialysepatienten ist dies wenig. Der Ulmer Professor fordert verstärkte Bemühungen, um an mehr Organe heranzukommen. »Aus Sicht der Patienten … wäre es deshalb vorteilhafter gewesen, wenn die Anreizwirkung des Geldes nicht zu einem erweiterten Angebot an Dialyse, sondern zu einem höheren Aufkommen an Spenderorganen geführt hätte«, schreibt er. Will er den Organhandel, der noch als anrüchig gilt, legalisieren? Des Weiteren fordert er den verstärkten Einsatz der Gen-Therapie, um möglicherweise aus einem Dialysepatienten wieder jemanden zu machen, der zum Überleben die Dialysebehandlung nicht benötigt.

Was der Autor nicht ausreichend beleuchtet, ist die Verquickung der mächtigen Geräteindustrie mit der Therapie. Fresenius ist ein weltweit agierender, börsennotierter Konzern, der auch in Deutschland auf dem Sprung ist, neue gesetzliche Möglichkeiten im Arztrecht auszunutzen. Die »Einzelkämpferpraxis« wird im Dialyse-Bereich zurückgedrängt. Hersteller wie Fresenius bieten Komplettlösungen mit Gebäude, Arzt und Maschinen. Ob die Kosten für die Kassen geringer werden, darf man bezweifeln.

Auch den Patienten verlor der aufmüpfige Professor aus dem Blick. Es liegt doch nahe, dass ein Teil der Behandlungsrisiken auf ihn abgewälzt wird. Wer trägt die höheren Therapierisiken, wenn auf die Gen-Therapie oder die risikoreiche Dämpfung des Immunsystems vor der Dialyse zurückgegriffen wird? Was passiert mit einem Patienten, der diese Risiken nicht tragen möchte und die teure Dialysebehandlung bevorzugt? Sicherlich wird ihm eine selbst zu zahlende Zusatzversicherung angeboten.

Solange der Einsatz oder die Folge medizinischer Maßnahmen zu einem Mehr oder Weniger im Portemonnaie der Ärzte führen, können diese nicht neutral über den Nutzen oder Schaden für den Patienten und die Versicherungsgemeinschaft entscheiden. Als »homo oeconomicus« verhalten sie sich korrekt, wenn sie ihren Gewinn maximieren. Mit der, besonders in Sonntagsreden der Ärztefunktionäre bemühten, ärztlichen Ethik hat das wenig zu tun.

Der Autor ist niedergelassener Nephrologe im Land Brandenburg.

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