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Wahrlich keine Pappkameraden

Richard Dawkins über den Gotteswahn – Plädoyer für Vernunft und Wissenschaft

  • Rolf Löther
  • Lesedauer: 4 Min.
Wo ist Gott?
Wo ist Gott?

Ein Merkmal zivilisierter, von der Aufklärung beeinflusster Gesellschaften besteht darin, dass ihre Mitglieder entscheiden dürfen, wie sie es mit Gott und der Religion halten. Große und kleine Glaubensgemeinschaften stehen zur Wahl. Die einen beten den dreifaltigen Christengott an, andere Allah, wieder andere Jahwe oder die Hindugötter Brahma, Vishnu und Shiva. Man kann aber auch auf sie alle verzichten und Atheist sein.

»Der Gotteswahn« bietet Entscheidungshilfe für den Atheismus an. Es ist eine radikal antireligiöse Streitschrift. Ihr Verfasser Richard Dawkins (Jg. 1941) ist Professor an der Universität Oxford, angloamerikanischer Spitzenintellektueller und Verfasser vieldiskutierter Sachbuch-Bestseller wie »Das egoistische Gen« und »Der blinde Uhrmacher«. Sein leidenschaftlicher Einsatz für den Darwinismus hat dem britischen Evolutionsbiologen den Spitznamen »Darwins Rottweiler« eingebracht. Aus der Sicht der modernen Naturwissenschaft und kritischer Vernunft lehnt er die Existenz irgendwelcher übernatürlicher Wesen ab und nimmt die dafür gegebenen Begründungen scharfsinnig auseinander. Sein Urteil darüber, was die Religionen in der Gesellschaft anrichten, fällt vernichtend aus.

Seine Auseinandersetzung konzentriert sich auf die drei großen monotheistischen Religionen, also das Christentum, das Judentum und den Islam. Vor allem wendet er sich gegen die Fundamentalisten dieser Glaubensrichtungen und ihr menschenfeindliches und antiwissenschaftliches Treiben, ob es sich nun gegen Anders- und Ungläubige, Frauen, Homosexuelle, Schwangerschaftsabbrüche oder die von Darwin begründete biologische Evolutionslehre richtet. Für die USA, die einst als säkulares, demokratisches und liberales Staatswesen gegründet wurden, signalisiert er die Gefahr, dass sie zum christlich-fundamentalistisch-faschistischen Gottesstaat verkommen. Fakten und logische Analysen untermauern seine Polemik. Dawkins sagt genau, wogegen er streitet. Es ist nicht die metaphorische Ausdrucksweise Albert Einsteins und anderer Physiker, die »Gott« sagen, an den sie nicht glauben, wenn sie die Natur oder das Weltall meinen, sondern das personenhafte religiöse Bild von einem Gott, der Gebete erhört, Sünden bestraft oder vergibt und Wunder vollbringt. Er setzt sich mit der »Gotteshypothese« auseinander, der Annahme, es gebe eine übermenschliche, übernatürliche Intelligenz, die das Universum und alles, was darin ist, einschließlich unserer selbst, absichtlich gestaltet und erschaffen hat. Entschieden widerspricht er der Vorstellung, bei Religion und Wissenschaft handele es sich um verschiedene Wissensbereiche, die sich nicht überschneiden. Zwischen der Religion zugehörigen Konzeptionen wie Kreationismus und Intelligent Design und naturwissenschaftlichem Evolutionsdenken ist an ein verträgliches Nebeneinander nicht zu denken. Dass Religion und Theologie überhaupt eine eigene Domäne haben, über die sie etwas wissen, bezweifelt Dawkins stark. Er untersucht die für die Existenz Gottes vorgebrachten Argumente seit den mittelalterlichen »Gottesbeweisen« und zeigt, dass sich seine Existenz nicht beweisen lässt. Doch lässt sie sich auch nicht formal-logisch widerlegen, sowenig wie die Existenz von Feen oder Bobby Hendersons »Fliegendem Spaghettimonster«.

Allerdings lässt sich statistisch nachweisen, dass sie überaus unwahrscheinlich ist. Auch bedürfe es nicht des Glaubens an eine göttliche Aufsicht, ohne welche die Menschen zu gefühllosen, egoistischen Genusssüchtigen würden, um ein guter Mensch zu sein. Das Alte Testament der Bibel, das Dawkins als »ethisches Katastrophengebiet« charakterisiert, sei kein Leitfaden für moralisches Verhalten. Viel besser sei auch das Neue Testament nicht. In moralischen Fragen gebe es heute einen weitreichenden Konsens, zu dem sich die meisten Menschen zumindest verbal bekennen, der in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Religion steht. Dass Theologen in Sachen Moral und Ethik kompetenter seien als andere Menschen, bestreitet Dawkins energisch. Soweit einige Andeutungen zu seinen weitgespannten Gedankengängen, zu denen zudem noch ein ziemlich diskussionsbedürftiges evolutionstheoretisches Modell von den Wurzeln der Religion gehört.

Dawkins wurde vorgeworfen, dass er gegen Pappkameraden kämpfe. Er greife die schlimmsten Seiten der Religion an und ignoriere die guten, setze sich nicht mit kultivierten Theologen wie Dietrich Bonhoeffer oder Paul Tillich auseinander. Dawkins erwiderte, wenn eine solche verfeinerte, nuanciertere Religion vorherrschen würde, sähe die Welt sicher besser aus und er hätte ein ganz anderes Buch geschrieben. Doch die traurige Wahrheit sei, dass eine zurückhaltende, anständige Religion zahlenmäßig nicht der Rede wert sei. Für die große Mehrzahl der Gläubigen auf der ganzen Welt ähnele die Religion nur allzu sehr dem, was man von gewissen US-amerikanischen Predigern, Osama bin Laden, Ayatollah Chomeini und ihresgleichen höre – wahrlich keine Pappkameraden, sondern Leute mit großem Einfluss. Jeder müsse sich mit ihnen auseinandersetzen. Mit dieser Religionsform rechnet Dawkins Buch gründlich ab. Es ist der grobe Keil auf den groben Klotz.

Richard Dawkins: Der Gotteswahn. Ullstein, Berlin. 575 S., geb., 22,90 EUR.

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