Derb, nie grob; unüberhörbar, nie schrill
Die Musiker der Kultfolkband Wacholder haben sich noch einmal zu einer Abschiedstournee zusammengefunden
Es waren drei Gesellen, die taten, was sie wollten.« Das heißt: damals, als es begann, waren es ihrer sechse. Die Geschichte ist hinlänglich bekannt, ein paar Lieder zum Fasching, die Frage, ob man weitermachen wolle, und ein paar Wochen später das erste Konzert in der Milchbar der Ingenieurschule für Bauwesen in Cottbus, bei dem auch gleich – lange fackeln war ihre Sache nie – die Zulassung als Volkskunstkollektiv erwirkt wurde. Wenn schon, denn schon.
Warum nun ausgerechnet Folklore oder, wie wir es damals nannten: Folk? Seit Mitte der Siebzigerjahre war die Singebewegung in besonderer Bewegung, es gärte, neue Formen entwickelten sich, neues Material fand Verwendung. Jeder suchte auf der Bühne nach ihm gemäßen originären Ausdrucksformen, nach Möglichkeiten, Unsagbares auszusprechen, ohne sich – von wem auch immer – reinreden oder das Maul verbieten zu lassen. Das Volkslied kam da gerade recht: es schlenderte freundlich, harmlos und unverfänglich vor sich hin trällernd daher, und wurde gar von Funktionären goutiert. Mancher summte sogar heimlich mit.
Was geschah aber nun wirklich, was war der tiefere Grund, das Verbindungsstück? Wir vermuten dies: Die Liedermacher der deutschen Länder verfielen bei dem Versuch, Zensur zu umgehen, auf die Suche nach ihren Wurzeln und wurden im Steinitz und im Zupfgeigenhansel, in Schul- und Chorliederbüchern, in Archiven und Bibliotheken fündig und jagten die Lieder, die dort überwinterten, hinaus ins Freie. Volkslieder gaben sich harmlos, weil die Ursache ihrer Entstehung längst vergessen und die handelnden Personen begraben waren. Sie stellten ein klingendes Museum dar, man schaute es an und sagte: »Sieh da, damals war's.« Text und Musik schienen unangreifbar. Die Zensoren mussten erst noch erfahren, dass jedes Lied, soweit seine Entstehung auch zurückliegt, heute gesungen auch immer heute meint.
Diese losgeschlagenen Volkslieder streunten also ziel- und herrenlos umher. In Cottbus trafen sie auf oben benanntes Sextett, befanden es für hinreichend aufmüpfig, verwegen und halbwegs tauglich und machten sich über die Musiker her. So wird es gewesen sein, so kommen wir der Wahrheit näher, auch wenn andere anderes behaupten.
Dann ging es Schlag auf Schlag, wie gesagt, lange fackeln war ihre Sache nicht. Konzerte, Gastspielreisen, erste Rundfunkaufnahmen, wechselnde Besetzungen, Diplome als Bauingenieure, Studium am Konservatorium in Cottbus, Schallplatten. Hochzeiten, Windeln waschen und Scheidungen, Ersatzteilfragen, Gewichtsprobleme und Steuerrückerstattung – zu all dem Trubel auf der Bühne noch ein ganz normales Menschenleben. Was so alles im Kalender steht. Mehr als Frau oder Mann zuweilen ertragen kann.
Im Januar und Februar 2001 gab es schon einmal eine Abschiedstour von Wacholder: »Willkommen zum Abschied.« Nach dreiundzwanzig Jahren. Man konnte das bedauern, aber musste akzeptieren. Gemeinsame Arbeit auf der Bühne ist intensiver und aufreibender, ist schlimmer als verheiratet sein. So viel, wie mit Freunden und Kollegen, hat man mit dem Partner selten zu schaffen. Keiner, der das nicht auf die eine oder andere Weise erlebt hat, kann das verstehen. Es ist nicht zu verstehen.
Vermuten dürfen wir auch, dass jeder der drei unterdessen so eigenständig im Künstlerischen war, dass er mehr Raum beanspruchte, als in der Gruppe ihm zugestanden werden konnte, dass nichts blieb, als eigene Wege zu gehen. Die Arbeit nach und neben Wacholder ist ausreichender Beleg für diese These: Matthias »Kies« Kießling bei Norland Wind, Scarlett O' mit Jürgen Ehle und Jörg »Ko« Kokott solo und mit Kollegen in verschiedenen Projekten unterwegs.
Weil aber die Katz das Mausen nicht lassen kann und viele Veranstalter den Barden die Bude einrannten, gibt es einen Epilog. »Zu guter Letzt.« Gerade auf Tour. Noch haben Sie die Chance, sputen Sie sich. Warum nun ausgerechnet Wacholder? Was zeichnet sie vor anderen aus? Sie griffen beherzt die Lieder, die über sie herfielen, staubten sie ab und brachten sie mit musikantischem Gestus unter die Leute: ungekünstelt, aber kunstvoll; derb, aber nicht grob; deutlich und unüberhörbar, aber nie schrill; leise, nie wehleidig. Und blieben sich treu dabei: mit allen Wassern gewaschen, aber nicht abgebrüht; nie falsch, immer sie selbst – schlitzohrig und ehrlich bis auf die Knochen. Sie brachten einen originären Ton in die Liederlandschaft ein, Wacholder hörte man raus.
Auch blieben sie nicht bei »Wenn alle Brünnlein fließen« stehen. Das genügte ihnen nicht, so billig wollten sie's nicht geben. Sie brachten Lieder aus bewegten Zeiten auf die Bühne, um in bewegten Zeiten mitsingen und sich einmischen zu können: 1984 Lieder aus dem Jahre 1848 und immer wieder Heinrich Heine. Lieder, die auch auf der Abschiedstour einen nicht unwesentlichen Teil des Programms ausmachen.
Sie lernten ihr Handwerk von der Pieke auf und beherrschten es bald aus dem FF. Man muss erlebt haben, wie sie mit ein, zwei Liedern an einem Sonnabendabend eine Kneipe mit dreihundert Leuten auf ihre Seite holten, denen noch Getränke und Speisen serviert wurden; sie schafften, dass bald auch hinterm Tresen Ruhe einkehrte, obwohl der Umsatz verlockte; sie sagten ein Potpourri mit Kriegs- und Soldatenlieder an – am Sonnabendabend in einer Kneipe –, bedauernd in der Moderation, dass die Welt trotz des stetigen Singens dieser Lieder nicht friedlicher geworden ist, und beharrend auf der Forderung, dass jeder Soldat sich nach Hause scheren solle. Der Beifall nach dem letzten Lied des Medleys steht für die Meinung von zwei Dritteln der Bürger dieses Landes und sollte kriegstreibenden Bücklingsdemokraten die Schamesröte in die Gesichter treiben.
Warum Wacholder? Weil ihr unausgesprochenes Credo, frei nach Tucholsky, lauten könnte: Draufhauen, aber mit Freude! Hätten die Musikanten nach den Konzerten Zeit und Muße, den nach Hause Schlendernden in die Gesichter zu schauen, so könnten sie zufrieden sein: Mutig gestimmt, beschwingt und ein listiges Lächeln in den Augen.
Die Frage, nach einer weiteren Auflage, vielleicht in fünf oder zehn Jahre, werden wir nicht stellen. Wir sind taktvoll und wollen nicht bedrängen. Aber hoffen werden wir, dass es einen Tag geben wird, im Herbst, das Volkunstkollektiv Wacholder hockt im Fiddlers Green, nahe dem Kamin, und schlabbert von alten Zeiten und ein Ting-Tang-Tellerlein Suppe und zufällig bleiben nach dem Abräumen des Geschirrs zwei Alulöffel auf dem Tisch liegen …
Nun denn: »Lustig, lustig ihr lieben Brüder/ Leget eure Arbeit nieder/ Und trinkt ein Glas Champagnerwein!« Danke, Glück auf allen Wegen, Chapeau!
Die nächsten und letzten Konzerttermine: heute in Suhl; 23.2. in Borna; 24.2 in Hainichen; 26.2. in Dresden; 28.2. Magdeburg; 29.2. in Dresden; zu guter Letzt am 1. März im Babylon in Berlin. www.wacholder.de
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.