PLATTENBAU
Klingt nach Störgeräusch – ist die CD kaputt? Ein paar Sekunden später dann ist alles klar. Beziehungsweise gar nichts mehr: Der heftig verbreakte Basis-Beat beißt einem ins Gesicht. Wieder ein paar Sekunden später haben wir es mit einem an Fatboy Slim und an andere Mainstream-Raver aus dem Musikfernsehen der Vergangenheit erinnernden funky Big Beat zu tun. Und was ist denn das für eine blöde Rockgitarre? Wenigstens gibt es irgendwann einen brauchbaren Refrain, aber richtig doll ist auch der nicht. Der niedliche Chor reißt da nichts mehr raus. »Out At The Pictures« ist einfach ein schlechter erster Song.
Man muss kein Personalchef sein, um zu wissen, dass der erste Eindruck zählt. Aber es ist Hype-Zeit in Pophausen und die Band dazu, die Band der Zukunft, wie die »Spex« sie nannte, heißt Hot Chip und kommt aus London – woher auch sonst? Band oder Bandmodell der Zukunft? Klar, weil Alexis Taylor & Joe Goddard (die beiden kreativen Köpfe und Sänger), Owen Clarke, Al Doyle und Felix Martin ihre dritte CD »Made In The Dark« nicht nur eigenhändig in einem Rutsch (live) eingespielt, aufgenommen und produziert haben; sie sind auch als Remixer gefragt, gelegentlich als DJs unterwegs, arbeiten als Grafiker und – was noch wichtiger ist – sie verwurschteln beinahe alles, was ihnen in die Nerd-Hände gerät: Indiepop, Electro, New Rave, House, Techno, 2-Step, R'n'B, Soul, Rock, Big Beat.
Die Gegenwart und Zukunft des postmodernen Musikers heißt Patchwork – stilistisch und lebenskonzeptionell. Nur wussten wir das bereits lange vor Hot Chip, so wie zig andere Bands und Musiker es auch vorher wussten und nach dieser Prämisse leben, Musik machen und arbeiten. Mit oder ohne Erfolg. Auch an der Tatsache, live mit vier Computern und einer Gitarre aufzutreten, ist nichts Neues dran. Indie-Electro- und Indietronic-Bands gibt es schon eine kleine Pop-Ewigkeit. Doch wie das so geht: Hypes müssen hochgekocht werden, sonst erkennt man sie nicht. Und man muss sie schließlich erkennen, und noch doller muss man sie wollen: Sie sind die essentiellen »Bad News« der Poppresse und des Musikfeuilletons, allerdings unter positiven Vorzeichen. Sie bündeln die Aufmerksamkeit des Lesers auf ein Event hin, gaukeln vor, dass es im Pop der Gegenwart doch so etwas wie eine Einheitswährung des Guten und Wahren geben könne. Und vielleicht erzeugen sie sogar für ein paar Sekunden ein Gefühl von Gemeinschaftlichkeit unter denen, die es »begriffen« haben.
Nach der Substanz von Hypes wird indessen frühestens gefragt, wenn bereits die nächste Sau durchs Dorf rast. Die Antworten interessieren dann freilich niemanden mehr. Drei Anläufe braucht es auf »Made In The Dark«, bis ein Song richtig sitzt. Der heißt »Ready For The Floor« und wurde sicher nicht zufällig als Single ausgekoppelt: Er hat einen catchy Lauf und eine Hookline, die man so schnell nicht vergisst; er hat den croonenden Glam und Euphorie verbreitenden Hitappeal (auf Deutsch: schönes Lied), den Stücke wie »Over And Over«, »Boy From School« und einige andere vom letzten, unerreicht tollen Album »The Warning« (2006) hatten. »Ready For The Floor« will, anders als der Opener und etliche weitere, eher schlecht als recht gelungene Stücke des neuen Albums, nicht alles zugleich sein, begnügt sich mit einem Status als Electro-House-Kleinod mit Pop-Ambitionen. Und wie schön sie hier wieder klingt, die Falsett-Stimme von Alexis Taylor. Nicht zuletzt weil der Kontext passt und die Gruppe dem Gesang ausnahmsweise nicht die einnehmenden Qualitäten geraubt hat, indem sie ihn in einen wirren Kanon aus Quietschen und Zerren bettete.
Denn davon, wie auch von klischeehaft gitarrenverstärkten Rock-Attitüden, bietet dieses Album – abgesehen von ein paar netten Balladen – viel zu viel. Hot Chips Offenheit für alles Mögliche ist popästhetisch nicht wirklich schlüssig. Den meisten Stücken mangelt es gewiss nicht an Details, jedoch ganz erheblich an zwingenden Momenten.
Ist es das, was am Ende rauskommen muss, wenn man versucht, es allen potentiellen Zielgruppen auf einmal recht zu machen, sich aber etwas zu wenig Zeit dabei lässt?
Hot Chip: Made In The Dark (EMI)
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