Ein Bunker für 3000 Überlebensbürokraten
Im Ahrtal wurde ein Museum eröffnet, das an den Kalten Krieg erinnert
Am Wochenende wurde das Museum eröffnet, das für fünf Euro Eintritt eine Geisterbahnfahrt in die Abgründe des »Kalten Krieges« bietet. Gerhard Karger ist einer der Freiwilligen des örtlichen Heimatvereins, der die Besuchergruppen durch den Bunker führt. 18 Kilometer war das Stollensystem unter dem Weinberg lang, berichtet der Rentner. Die Röhre wurde vor dem Ersten Weltkrieg als Eisenbahntunnel angelegt, diente aber nie ihrer ursprünglichen Bestimmung. Die Bahnverbindung nach Belgien, zur Kaiserzeit als kriegswichtig angesehen, benötigte man in der Weimarer Republik nicht. In den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges bauten bis zu 800 Häftlinge des KZ Buchenwald den Tunnel für V2-Raketen aus. Nach Ende des Krieges sprengten französische Truppen die Anlage. Der Tunnel blieb dabei aber über lange Strecken erhalten. 1960 beschloss die damalige Regierung unter dem Eindruck des sich verschärfenden Ost-West-Konfliktes, einen »Ausweichsitz der Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland« an eben dem Ort anzulegen, an dem Hunderte von Zwangsarbeitern in der Nazizeit umgekommen oder ermordet worden waren.
Stolz zeigt Gerhard Karger die mächtige Eingangsschleuse. Die über 20 Tonnen schweren Betonscheiben können binnen weniger Sekunden hydraulisch vor den Tunnel geschoben werden. Notfalls geht es auch per Handbetrieb mit einer Kurbel. Das dauert dann eine halbe Stunde. »Vielleicht wäre der Krieg schon vorbei gewesen, bevor die Tür zu ist«, scherzt Karger. Dann zeigt er Schießscharten. »Nicht zur Verteidigung gegen bewaffnete Einheiten ausgelegt«, erklärt Karger knapp. Eher, um die schutzsuchende eigene Bevölkerung abzuwehren, kann erahnt werden.
Hinter dem Eingang befinden sich Duschräume. Es sieht fast aus wie in einer Turnhalle. Hier hätten Eintreffende dekontaminiert werden können. Weiter geht der Weg zu den »Warteräumen des Todes«, wie der Bunker salopp genannt wurde. Von den 936 Schlafräumen und 897 Büros ist nur ein Bruchteil geblieben. Auf einer Länge von 150 Metern ist der Bunker erhalten. Der Rest wurde vor Jahren bereits entkernt.
Inwieweit die exemplarisch dargestellten Räume die Wahrheit über den Regierungsbunker offenbaren, bleibt also Ansichtssache. Dargestellt wird Tristesse. Die Schlafräume, ausgestattet mit Doppelstockbetten und Spinden aus grauem Blech, könnten in jeder Kaserne zu finden sein. Selbst dem Kanzler wurde, glaubt man der Ausstellung, nur ein einfaches Feldbett reserviert. Wie in dem schmal bemessenen Rohrgestell ein Helmut Kohl hätte gebettet werden soll, bleibt dabei unerklärlich. Auch die Büroräume wirken spartanisch. Graue Schreibtische, Rohrstühle mit Sitzflächen aus Sperrholz, alte Schreibmaschinen, ein Stempelkarussell, bestückt mit Stempeln. »Zu den Akten« ist noch zu lesen.
Ein Farbtupfer ist das Tagungszimmer des Kriegskabinetts. Unzweifelhaft in den Siebzigern angeschafft, vermitteln die grellpinken Polstermöbel die Designerkunst jener Jahre. Gerhard Karger versucht, mögliche O-Töne der Regierenden wiederzugeben: »Kommen die Amerikaner noch oder sind die Russen schon am Rhein?«
Vieles bleibt nach dem Besuch des Museums ungeklärt. Wer hätte im Atomkriegs-Fall Einlass in den Bunker bekommen? Gerüchten zufolge durften auch die Spitzen der Wirtschaft in den Weinberg. Zudem vermutete man früher, dass es Räume für ein Bordell im Tunnel gebe. Im nahe gelegenen Ahrweiler glaubten einige an ein verstecktes Babel für die Elite der Gesellschaft, die ein Weltenende überleben wollten.
Kein Wunder. Während der Bunker in Betrieb war, herrschte höchste Geheimhaltungsstufe. Niemand im Tal wusste genau, was sich unter der Erde verbarg. Und dann, zur Jahrtausendwende, wurde alles schnellstmöglich planiert. Erst am Ende des Rückbaus kam das Innenministerium auf die Idee, ein Museum einzurichten. Aber selbst, wenn die ganze Wahrheit über den Ausweichsitz dargestellt wird, bleibt ein beklemmendes Bild. 30 Tage hätten die Verfassungsorgane im Schutzraum bleiben können. Für diese Zeitspanne waren die Vorräte angelegt. Und dann? Die Regierenden hätten sich noch nicht einmal ein neues Volk wählen können, wie dies Bertolt Brecht einmal in einem anderen Zusammenhang vorschlug. Es wäre niemand mehr da gewesen. 3000 Bürokraten in ihren Büros – mehr wäre von der Bundesrepublik wohl nicht übrig geblieben.
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