EU-Kritiker auf dem Rückzug
Auch Schwedens Sozialdemokraten und Grüne befürworten nun die Union
Glaubt man den Meinungsumfragen des »Statistischen Zentralbüros« in Schweden, so nimmt der Widerstand der Bevölkerung gegen die EU nach und nach ab. Ende letzten Jahres wurde die Frage »Bist du für oder gegen die schwedische Mitgliedschaft in der EU« von über 50 Prozent der Befragten mit »dafür« beantwortet. Ein gutes Zeugnis für Brüssel ist das zwar nicht, aber in den Vorjahren hatte der Anteil derer, die gegen die EU waren oder keine Stellung beziehen wollten, stets überwogen. Man konnte sich wundern, warum die Schweden in einer Volksabstimmung 1994 überhaupt für den Beitritt ihres Landes votiert hatten.
Immer deutlicher spiegelt sich der Meinungsumschwung nun auch in den politischen Parteien wider. EU-Gegner sind dort eine Minderheit, die immer weiter schrumpft. Sören Wibe, Wortführer des EU-kritischen Flügels der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SAP), kehrte letzte Woche mit einem Paukenschlag seiner Partei den Rücken. Er habe in den letzten Jahren zäh versucht, die Politik der SAP in eine »mehr EU-skeptische Richtung« zu drehen, habe aber nichts ausrichten können. Der Parteiführung wirft er »Heuchelei« vor. Das EU-Recht untergrabe die schwedischen Tarifverträge und das Streikrecht, obwohl die SAP ihren Wählern in den 1990er Jahren versprochen habe, sich von Brüssel in Sachen Arbeits- und Tarifrecht keine Vorschriften machen zu lassen. In den Verhandlungen über den Vertrag von Lissabon hätten die Sozialdemokraten ebenfalls darauf drängen können, das schwedische Modell zu verteidigen, aber nichts sei passiert. Das Freizügigkeitsprinzip stehe erneut über gewerkschaftlichen Rechten, so Wibe.
Was der 62-Jährige nach 25 langen Jahren in der SAP nun vorhat, ist unsicher. Eine neue Karriere könnte ihm die EU-skeptische Partei »Junilistan« bieten, die ein neues Zugpferd braucht. Die Juniliste wurde anlässlich der letzten Europawahl 2004 gegründet und bekam damals auf Anhieb 14,5 Prozent der Wählerstimmen. Ihr Gründer und Vorsitzender Nils Lundgren ist inzwischen aber politikmüde und will nicht noch einmal antreten. Da die Partei sonst aber kaum prominente Politiker in ihren Reihen hat, könnte ihr Stern schnell sinken.
Enttäuscht werden die schwedischen EU-Gegner neuerdings auch von den Grünen (»Miljöpartiet«), die sich bislang mit der Forderung profilierten, Schweden solle aus der EU austreten. Diese Linie wird von der Parteiführung nun fallen gelassen. »Die Argumente für eine Mitgliedschaft überwiegen«, schrieb Parteisprecherin Maria Wetterstrand kürzlich in einem Brief an die Mitglieder. Immer noch kritisiert sie zwar die harte Flüchtlings- und Asylpolitik der EU, mangelnde demokratische Kontrolle der Institutionen und Organe sowie die zunehmende Verlagerung politischer Beschlüsse von Stockholm nach Brüssel und damit weit weg von den Alltagssorgen der Schweden. Dass Wetterstrand trotzdem umgeschwenkt ist, begründet sie damit, dass wirksamer Klimaschutz nur möglich sei, wenn die europäischen Staaten zusammenarbeiteten. Auch die EU-Erweiterung nach Osten ist aus ihrer Sicht zu begrüßen. »Für viele bedeutet die Erweiterung, dass hohe Mauern durch offene Grenzen ersetzt werden.« Jung und Alt könnten sich so neue »kulturelle Perspektiven« verschaffen.
Wetterstrands Kurswechsel ist jedoch nicht unumstritten. Parteiinterne Kritiker meinen, dass es der Grünen-Sprecherin nicht um Inhalte geht, sondern um Taktik. 2010, wenn in Schweden wieder gewählt wird, will die SAP – derzeit in der Opposition – die Macht in Stockholm zurückerobern. Und weil es kaum mehr Sozialdemokraten gibt, die gegen die EU sind, müssen auch die Grünen pro-europäischer werden, wenn sie als Juniorpartner mitregieren wollen. Die einzige größere Partei Schwedens, die noch immer einen EU-Austritt fordert, ist die Linkspartei »Vänsterpartiet«.
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