Noch ein Lied vom Tod

Die Unbekannte von Giuseppe Tornatore

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer sich öfter mal in italienischen Hotels spätabends durch Berlusconis Fernsehsender schaltet, kennt das: diesen Unglauben, wie weit sich die televisionäre Ödnis noch vorantreiben lässt. Dagegen kommen einem Sat.1 und RTL wie letzte Ausläufer der Hochkultur vor. Man ahnt, diese zynische Geschmacksverbildung rund um die Uhr wird Folgen haben.

Hat sie bereits! Denn dem italienischen Film geht es schlecht. Wie durch Seifen(oper)wasser gezogene, in Rührseligkeit erstarrte Machwerke. Mit Wehmut denkt man an die große Zeit des italienischen Kinos von de Sica, Visconti bis Ettore Scola. Nanni Moretti, dem mit »Mein liebes Tagebuch« vor zehn Jahren ein wunderbar-poetischer Film gelang, verspricht inzwischen auch mehr, als er halten kann, und bei Giuseppe Tornatore liegt der Fall noch viel dramatischer.

Tornatore ist zweifellos ein großes Talent. Er besitzt die Fähigkeit, aus dem Alltag Geschichten zu filtern, die leinwandtauglich sind. Aber das gewollte »große Kino« (Franco Zeffirelli lässt grüßen!) stürzt oft kopfüber in den Abgrund des gigantischen Kitsches. Leider verstärkt sich diese Tendenz bei Tornatore von Film zu Film – und vielleicht liebt das RAI-verbildete italienische Publikum die falschen Gefühle mittlerweile mehr als die echten. Das ist wie bei Balzac, der großartig von den Niederungen der menschlichen Seele zu erzählen wusste, aber nun mal – unter Pseudonym – zu viele Kitschromane schnell hinschmierte. Er wurde den Fluch der Kolportage nicht mehr los. Neben echten Töne klingen auch in seinen bleibenden Romanen immer wieder schwer erträgliche falsche mit. Das nennt man sein Material ruinieren. Bei Tornatore scheint mir genau das geschehen zu sein. Der Virus des Schwülstigen ist schon in seinen ersten Arbeiten zu finden. »Cinema Paradiso« (1988), diese wunderbar-melancholischen Geschichte über ein Provinzkino, das in Zeiten des Fernsehens einen vorhersehbaren Tod stirbt, bewahrt einen nüchternen Grundton - aber wohl nur wegen des großen Philippe Noiret. Zehn Jahre später stürzte die »Legende vom Ozeanpianisten« bereits bildmächtig ins Unglaubwürdige ab. Kurz darauf ruinierte er in »Der Zauber von Malena« viel von der Parabel auf Erotik und Provinz. Und das immer durch wenig intelligente Vergröberungen.

Und nun »Die Unbekannte«: Beim italienischen Filmpreis bekam er fast alle Preise, die verteilt wurden. Das Drehbuch schrieb Tornatore selbst. Aber was für eins! Grottenschlecht ist noch ein Euphemismus. Eifrigst haben seine Adepten die konfuse Filmfabel bereits mit den Namen Hitchcock und Tarantino in Verbindung gebracht. Ja tatsächlich, »Die Unbekannte« wirkt wie die RAI-Version von Hitchcock!

Aufblende: Wir blicken in ein Sado-Maso-Bordell, natürlich mit Ukrainerinnen. Die Frauen nackt, aber hinter Masken. Das verschwindet so plötzlich, wie es kam, stattdessen befinden wir uns nun in einer norditalienischen Stadt, eine junge Frau (aha, die Maske aus dem Sado-Maso-Bordell!) observiert ein Wohnhaus, mietet sich gegenüber ein, schleicht sich in das Haus, erst als Putzfrau, arbeitet dann für eine Familie, nachdem sie deren bisherige Haushaltshilfe tückisch von der Treppe gestoßen hat. Vertraue nie Unbekannten! Die Familie hat eine kleine Tochter, die trainiert sie mit Fesselspielen (gelernt ist gelernt). Wenn das nicht Hitchcock ist! Finstere Typen tauchen auf und beginnen ihr nachzustellen und jeder Szenenwechsel kommt mit der Ansage daher, mysteriös, geheimnisvoll und gefährlich zu sein. Eine Karikatur von Gewalt und Leidenschaft.

Gewiss, die Moskauer Theaterschauspielerin Xenia Rappoport als junge unbekannte Frau, die – scheinbar – aus dem Nichts kommt, beeindruckt. Man glaubt ihr eine Getriebenheit, die sich selbst nicht versteht. Manches bei Tornatore ist von einer starken Atmosphäre: die düstere Festungsmentalität des norditalienischen Bürgerhauses etwa, die unbestimmte Verlustangst der Familie, in die die Unbekannte eindringt. Wenn man hier noch einen Namen ins Feld führen wollte, dann wohl den Roman Polanskis (»Der Mieter«) – jedoch mit dem Unterschied, dass sich dieser damit begnügte, den ganz normalen Alltag in eine nächtliche Albtraumszenerie zu verwandeln. Bei Tornatore aber kommt man sich immer vor, als bewunderte man die Kameraführung in einem Werbeclip. Überfrachtet mit Symbolen und Andeutungen, die sich ins Nichts verlaufen, weiß man überhaupt nicht, was er uns eigentlich sagen will. Die Absicht zu verblüffen, lugt aus allen Löchern. Unter und über allem, liegt, hängt, klebt der Klangteppich des routinierten Ennio Morricone, der wieder einmal eine Variante mehr seine Lieds vom Tod durchspielt.

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