Werbung

In der Festung Kabul wächst die Unsicherheit

Taliban und Al Qaida setzen in Afghanistan auf die Strategie der langsamen Zermürbung

  • Daniel Kestenholz
  • Lesedauer: 3 Min.
Afghanistans Hauptstadt Kabul, die nach dem Einmarsch der US-Amerikaner Ende 2001 die Befreiung feierte, wirkt in diesen Wochen wie eine Garnisonsstadt. Eine Reihe schwerer jüngerer Anschläge hat Kabul in eine Stadt wie im Belagerungszustand verwandelt.

Die Aktionen gleichen sich: Die Aufständischen waren bestens organisiert und ließen den Soldaten kaum eine Chance: Zehn Franzosen starben am 18. August in dem Hinterhalt, den Taliban ihnen in der Nähe von Kabul stellten. Unmittelbar zuvor wurde ein US-Militärstützpunkt Ziel eines Doppelanschlags, nur wenige Tage vorher wurden drei kanadische und US-Helferinnen ermordet. Nicht nur die blutigen Anschläge auf Ausländer in Afghanistan häufen sich derzeit dramatisch, auch die heimischen Sicherheitskräfte werden täglich Opfer von islamistischen Rebellen.

Die Reaktion der afghanischen Regierung: Kabul wird zur Garnisonsstadt. Schlüsselstraßen der Stadt sind von Checkpoints bemannt, die ganze Quartiere von Verkehr und Passanten abriegeln. Das Gebiet um die Botschaft Indiens ist seit dem schweren Anschlag im Juli, der ein Stück der Fassade wegsprengte, ganz von der Außenwelt abgeschottet. Die Sicherheitslage hat Kabul in ein kleines Bagdad verwandelt. Bislang sind zwar bloß zentrale Bezirke betroffen. Doch trotz Checkpoints und Truppenpräsenz scheinen sich Anwohner nicht sicherer zu fühlen. Im Gegenteil droht auch vielen abgeschnittenen Geschäften der Bankrott.

Die jüngere Anschlagsserie begann im Januar, als Bewaffnete das vorwiegend von Ausländern frequentierte Luxushotel Serena in der Innenstadt stürmten. Im April gelang es Scharfschützen um ein Haar, Präsident Hamid Karsai bei einer Militärparade umzubringen. Afghanistans eigene Truppen versagten kläglich, anwesende Diplomaten flohen in Panik. Dann der Anschlag im Juli gegen die indische Botschaft, wonach Afghanistans Sicherheitskräfte in Alarmbereitschaft versetzt wurden.

Parallel zur sich verschlimmernden Sicherheitslage in Kabul stoßen afghanische und NATO-Truppen auf immer verbisseneren Widerstand der Taliban, die auch die Kunst des Bombenbaus zu beherrschen lernen. Nach Halim Kousary von Afghanistans Studienzentrum für Konflikt und Frieden habe es aber »in Kabul im Jahr 2007 viel mehr Selbstmordanschläge als 2008« gegeben, was der verstärkten Sicherheitspräsenz zu verdanken sei.

Die Selbstmordanschläge mögen zurückgegangen sein. Nicht aber Bombenanschläge entlang Straßen, wie ein Beratungsunternehmen zu Sicherheitsfragen in Afghanistan meldet, Vigilant Strategic Services. Demnach haben sich in diesem ersten Halbjahr 35 Prozent mehr Anschläge als im ersten Halbjahr 2007 ereignet. Nach Pentagon-Zahlen haben Bombenanschläge am Straßenrand dieses Frühjahr den höchsten Stand seit vier Jahren erreicht, während US-amerikanische Truppen in diesen Monaten mehr Tote als in Irak beklagen.

Afghanen war beim Einmarsch 2001 Frieden und Besserung versprochen worden. Stattdessen wird Kabul jetzt nach und nach abgeriegelt. Bislang hat es noch jede Aufstockung der Friedenstruppen nicht geschafft, die Gotteskrieger zu brechen. Wie damals gegen die Sowjets baut der Taliban-Widerstand auf langsame Zermürbung.

Die zusehends ausgefeiltere Taktik und die immer blutigere Bilanz der Anschläge ist für den afghanischen Schriftsteller und Forscher Wahid Muschda ein klares Zeichen für den wachsenden Einfluss von Al Qaida. »Viele islamistische Kämpfer sind aus Irak zurückgekehrt und teilen nun ihre Erfahrungen mit den Taliban«, sagt Muschda. Al Qaida bereite die Anschläge vor, »und die Taliban setzen sie um«.

Neu ist die Verbindung zwischen den radikalislamischen Taliban und dem Terrornetzwerk nicht: Die USA starteten ihre Offensive im Oktober 2001 gegen die in Afghanistan herrschenden Taliban, nachdem sich diese nach den Anschlägen vom 11. September geweigert hatten, Osama bin Laden und seine Gefolgsleute auszuliefern. Zu Beginn des Jahres hätten führende Taliban angekündigt, dass sie ihre Angriffe intensivieren und mehr Selbstmordattentate ausüben würden, sagt Muschda. »Und sie wollten ihre Aktionen auf die Provinzen rund um Kabul ausweiten. Das ist genau das, was sie getan haben«, stellt der Forscher fest.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.