Gut informiert aus Talibanistan

Der 11. 9. 2001 war ein Schock für die Welt. Er hat manches verändert – auch der BND ist nicht mehr der alte

  • René Heilig
  • Lesedauer: 7 Min.
Heute vor sieben Jahren gab ein Mann namens Mohamed Atta morgens gegen halb sechs seinen Zimmerschlüssel an der Rezeption des Comfort Inn von Portland ab. Dann bestieg er gemeinsam mit Abdelaziz al-Omari einen Mietwagen. Sie fuhren zum Airport, erreichten noch knapp die Maschine nach Boston. Auch an anderen Orten in den USA machten sich insgesamt 19 Männer – fest im Glauben an Allah und ihre heilige Mission – bereit, Flugzeuge zu kidnappen und als Waffen gegen Unschuldige einzusetzen. Der Countdown für das Jahrhundertverbrechen hatte begonnen.

11. September, 8.46 Uhr Ortszeit. American-Airlines-Flug 11 raste in den Nordturm des World Trade Centers. 17 Minuten später flog United-Airlines Flug 175 in den Südturm des WTC. American-Airlines-Flug 77 schlug um 9.37 Ortszeit in das Pentagon ein. Auch United-Airlines-Flug 93 geriet in die Gewalt von Todesbereiten. Um 10.03 Uhr stürzte der Jet in der Nähe von Pittsburgh ab. 3000 Menschen, so sagt man grob, kamen durch diese beispiellosen Anschläge um.

Es gibt noch immer vielfache Gründe, bohrende Fragen zu stellen, Zweifel anzumelden an der offiziellen Version, die nun schon in Lexika als Wahrheit steht. Sicher ist aber: Die Angst vor dem Terror ist seither allgegenwärtig. Wir leben mit ihr und viele benutzen sie schamlos aus.

»Jede gewünschte Unterstützung«

Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach noch am Abend des 11. September 2001 von einer »Kriegserklärung gegen die gesamte zivilisierte Welt«. Er sagte den USA »jede gewünschte Unterstützung bei der Bewältigung dieser Katastrophe und bei der Ermittlung der Drahtzieher« zu. Volksvertreter mutierten über Nacht zu »Amerikanern« und nahmen dabei Wähler in in Haftung für ihre spontane Großmäuligkeit.

Doch so global die Anschläge auch gedacht waren, der Westen beanspruchte alsbald die alleinige Opferrolle, die Schablonen von »Gut« und »Böse« wurden geografisch, man lackierte sie religiös und ideologisch, redete einen »Kampf der Kulturen« herbei. Der Nahe und Mittlere Osten wurden als Brutstätte des Terrors ausgemacht. Nicht nur der einstige US-verbündete Osama bin Laden und ein diffuses Monster namens Al Qaida gerieten umgehend ins Fadenkreuz der selbst ernannten Gerechten. Im großen Stil setzt man seither immer mehr bürgerliche Freiheitsrechte außer Kraft. Abhören, Videoüberwachungen, PC-Durchsuchungen sind Normalität. Präventiv stehen Bevölkerungsschichten unter Verdacht. Man verbiegt Gesetze, entführt Menschen und foltert nach Belieben in geheimen Gefängnissen. Ja sogar die Essgewohnheiten von Passagieren sind Gegenstand von Geheimdienstneugier. Orwells »Big Brother« kommt dagegen daher wie eine Mikey-Mouse-Figur aus Entenhausen. Stimmen der Vernunft, die zumindest Augenmaß im Kampf gegen die neue terroristische Herausforderungen anmahnten, wurden übertönt. Die NATO rief den Bündnisfall aus. Seither führt auch Deutschland wieder Krieg. In Afghanistan und im Namen von Gerechtigkeit, Demokratie und Freiheit. Nichts ist mehr, wie es war. Ist die Welt dadurch sicherer?

Wieder menschliche Quellen rekrutiert

Glaubt man dem derzeitigen Chef unseres Auslandsgeheimdienstes, dann ist der 11. September »nicht wiederholbar«. BND-Präsident Ernst Uhrlau, zuvor in Schröders Kanzleramt unter dem neuen SPD-»Kanzlerkometen« Frank-Walter Steinmeier für die Koordination der deutschen Dienste zuständig, sagt, Al Qaida sei nicht mehr in der Lage, »vergleichbar aufwendige Anschläge … ungestört vorzubereiten und zu verüben«. Weil der Westen so beherzt ein- und angegriffen hat. Da klingt der Stolz des Erfolgreichen mit.

BND-Insider und -Kritiker Erich Schmidt-Eenboom stimmt Uhrlau bei der Abschätzung der aktuellen Anschlagsgefahr weitgehend zu. So wie US-Dienste, so wie die britische und französische Geheimorganisationen habe auch der BND Schulaufgaben gemacht. Neben allen technischen Perfektionierungen besannen sich die Geheimdienstler auf das, was man in dem Metier eiskalt »menschliche Quellen« oder schlicht Humint nennt.

In Washington hat man es bitter bereut, sich 1989 zu rasch von seinen schon immer terroristisch geprägten Verbündeten am Hindukusch abgesetzt zu haben. Die USA überließen das Gebiet nach dem Abzug der Sowjets dem pakistanischen Geheimdienst, der talibanfreundlich war und ist. Doch die Geldquellen in Saudi-Arabien sprudelten weiter und so hatte es der »Hund« nicht allzu schwer zu überlegen, wo und wie man das im Grunde verhasste »Herrchen« beißen kann.

Im arroganten Westen war niemand da, der kommen sah, was kommen musste. Fehlende Quellen vor Ort wurden ergänzt von Sorglosigkeit daheim. Erst langsam hat man nach dem 11.9.2001 angefangen, wieder Spitzel und Spione an den entscheidenden Knotenpunkten zu installieren. Doch bevor diese Quellen sprudeln, dauert es seine Zeit. Ein ehemaliger Chef der Abteilung I im BND geht davon aus, das man rund fünf Jahre braucht, bis die geeigneten Leute gefunden, gewonnen, geschult und stabile Verbindungen aufgebaut sind.

Es scheint so, als sei es nun im siebten Jahre nach der Katastrophe gelungen, in die feindlichen Linie einzudringen. In Washington wie Berlin wissen Experten inzwischen relativ genau, was vorgeht in »Talibanistan«, jener skurrilen Welt zwischen den Frontlinien in Afghanistan und Pakistan. Man ist »drin« in den Ausbildungscamps. Die Funkaufklärung liefert zudem jede Menge Material, Satellitentelefone lassen sich orten und man hat inzwischen auch angeblich genügend Dolmetscher, die verstehen, was da vorgeht. Was dem BND in den vergangenen Jahrzehnten nur selten vergönnt war – die US-Kollegen verhandeln bisweilen sogar auf Augenhöhe mit den Deutschen.

Wenn Verfassungsschutz-Präsident Heinz Fromm sagt, die Wachsamkeit der Sicherheitsbehörden und der hohe staatliche Verfolgungsdruck hätten dazu geführt, dass Deutschland – obwohl im Fokus von Terroristen – bislang von Anschlägen verschont wurde, dann ist das auch eine Verbeugung in Richtung US-Kollegen. Beispiel: Die sogenannte Sauerland-Zelle, drei Männer, die noch vom Bombenbasteln träumten, als die CIA und türkische Geheimdienstler längst deren Islamische Dschihad Union und das dahinter agierende kriminelle Finanzierungsnetz unterwandert hatten. Mit einem enormen menschlichen und technischen Aufwand – man forderte sogar vom Militärischen Abschirmdienst personelle Leihgaben – hat man sie monatelang unter Kontrolle gehaltenen, um sie dann »hochzuziehen«. Medienträchtig, darauf kam es an.

Auch Folterstaaten als Partner willkommen

Gelungen scheint eine bessere und vor allem stabile Vernetzung auch mit arabischen Nachrichtendiensten. Jordanien und Syrien hatten relativ schnell Kontakte in die Al-Qaida-Zellen aufgebaut. Weshalb westliche Dienste – wiederum war der BND dabei – sehr schnell bereit waren, alle Bedenken wegen einer Zusammenarbeit mit den Folterregimes in Amman und Damaskus über Bord zu werfen.

In den vergangenen Wochen ist Deutschland in der Hitliste von islamistisch geprägten Terroristen weiter nach oben gerückt. Grund: Der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Deutschland ist im Visier. Doch nicht nur die Bundeswehrsoldaten vor Ort. Jederzeit können einreisende Hit-and-run-Teams irgendwo in Deutschland zuschlagen. Im Bundeskriminalamt, das eine Zentralstellung bei der Terrorabwehr zugesprochen bekam, ist man beunruhigt. Die beabsichtigte Verstärkung der deutschen Truppen und deren immer kriegerisches Auftreten – jüngst erschossen deutsche Soldaten eine Mutter und zwei Kinder – ziehen Attentäter förmlich an, bestätigt ein hochrangiger BKA-Mitarbeiter. Er hält auch Anschläge gegen deutsche Einrichtungen in aller Welt für wahrscheinlich. In keinem Goethe-Institut sollte man bedenkenlos Päckchen öffnen. Nein, er wisse nichts Konkretes, sagt der Beamte, doch auch vor sieben Jahren habe man die Augen vor dem Unausweichlichen verschlossen ...

Da die Ursachen von Terrorismus eher zunehmen, denn durch globale soziale Reformbemühungen eingedämmt werden, gibt es aus Sicht westlicher Experten nur eine halbwegs Erfolg versprechende Terrorabwehr: Innenquellen! Man muss in den Strukturen der vermuteten Feinde verankert sein, um Warnsignale rechtzeitig zu erkennen. Der viel gescholtene Bundesnachrichtendienst scheint dabei inzwischen so gut aufgestellt, wie CIA und militärische DIA. Während Schröder noch Solidaritätserklärungen formulierte, baute der BND seine Horchposten am Hindukusch aus, Pullach holte ebenso eilig wie heimlich Pensionäre zurück in den Dienst, ließ ehemalige Residenten Kontakte in die arabische Welt auffrischen. Man bildete neue Expertenteams. Die Bundeswehr schuf unter dem Generalinspekteur Harald Kujat 300 neue Planstellen ausschließlich für den BND. Rund 100 Geheimdienstoffiziere wurden ausschließlich eingesetzt zur Verstärkung der Humint-Kapazitäten auf dem Balkan und Afghanistan. Man kann diese Verstärkung richtig einschätzen, wenn man, wie Schmidt-Eenboom weiß, dass »der BND in Kalten Kriegszeiten weltweit nur 173 Anbahner und Verbindungsführer« beschäftigte. Dazu kommen nun an der Kundus-Front und anderswo noch Dutzende Feldnachrichtenkräfte, die im Bundeswehr-Fleckentarn Bauern wie Lehrer aushorchen und anwerben.

Der deutsche Auslandsgeheimdienst kann sich am Hindukusch auf Grundlagen stützen, die vor Jahrzehnten gelegt wurden. Nicht von ungefähr ist der Chef des neuen afghanischen Geheimdienstes und viele seiner Führungsleute »den Deutschen« besonders zugetan. Von 1956 bis 1979 hat sich die alte Bundesrepublik um die Polizeiausbildung in Afghanistan gekümmert. Parallel dazu und vor allem unter sowjetischer Besatzung übernahm auch die DDR solche Aufgaben. Seit 2002 sind wieder deutsche Ausbilder im Geschäft. Heute unter EU-Fahne. Ein Gutteil der Polizisten können BND-Kontakte nicht leugnen. Denn nie ging es nur darum, Schutzmänner und Verkehrsregler auszubilden.

Heute zahlt sich diese »Germanisierung« des Sicherheitsapparates aus. Man ist, so ein Insider, relativ gut informiert über »Talibanistan« und wenn ein Terror-Rekrut von dort nach Deutschland zurückkehrt, dann bleibt er nicht unbeobachtet, heißt es aus dem Innenministerium. Noch hat man damit Erfolg. Doch wie sagte BND-Chef Uhrlau unlängst in einem Interview? »Die Annahme, nach größeren Fahndungserfolgen sei das Schlimmste überstanden, ist falsch.«

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.