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Böcke zu Gärtnern!
Die Vereinigten Staaten sind die Leitmacht der Demokratie, mit Todesstrafe, Folter, Rassismus und allen Schikanen, und hier geht nun allmählich das segensreiche Wirken des Präsidenten George W. Bush zu Ende. Ob es ihm in letzter Sekunde noch glücken wird, die gottverdammten Massenvernichtungswaffen in Irak aufzuspüren? Oder wenigstens Osama bin Ladens Friseur?
Zwei frische Kandidaten stehen für den Präsidentenjob bereit, besonders der eine: John McCain, Russenfresser der Extraklasse. Es ist also schon ein bizarrer Ulk, dass sein Wahlkampfteam ausgerechnet den russischen Botschafter in Washington um eine Wahlkampfspende von 5000 Dollar anging, die McCain helfen soll, »Freiheit und Demokratie in der Welt zu verbreiten«.
Dem deutschen Botschafter ist so ein Bettelbrief nicht zugegangen; die Bundeswehr leistet ja schon ihren Beitrag zum Krieg der Kulturen, Parole: Alles cool in Kabul! Obwohl es das ganze deutsche Volk mit Ausnahme seiner Volksvertreter ablehnt, Deutschland am Hindukusch zu verteidigen, entsendet Minister Jung lustvoll weitere 1000 Germans an die Front. Ihre Hauptaufgabe besteht ausschließlich darin, fern der Heimat in ihren Camps das eigene Leben zu schützen, und wir können nur beten, dass ihnen wenigstens der Kugelhagel erspart bleibt, den die amerikanischen Freunde friendly fire zu nennen belieben.
Die ganze Welt ist ein Irrenhaus, und Berlin ist die Zentrale. »Ich glaube an das Pferd«, sprach einst Kaiser Willem II., »das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.« Hartmut »Bahnscheff« Mehdorn, wird gemunkelt, erwäge beim Gang an die Börse die Vokabel Verspätung durch den Begriff frühestmögliche Ankunftszeit zu ersetzen. Und die Sozialdemokraten machten nicht den Beck, sondern den Bock zum Gärtner. Neulich auf dem SPD-Parteitag schmetterte Münte das fällige Kampflied aus voller Brust, der neue Kanzlerkandidat dagegen, dem der Text eher fremd war, musste ihn mühsam vom Blatt buchstabieren: Wann wir schreiten Seit' an Seit' …
An der Seite der Kanzlerin schreitet bei der Bewältigung der Bankenkrise Jörg Asmussen, ein vielseitig verwendbarer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Noch vor Jahresfrist verordnete er die möglichst lasche Kontrolle der Banker und lehnte es ab, den Banken »unnötige Prüf- und Dokumentationspflichten« aufzuerlegen. Inzwischen findet er das direkte Gegenteil richtig und ist zum Konstrukteur des 500-Milliarden-Euro-Rettungspakets gereift. In beiden Fällen steht er konsequent auf dem Standpunkt der Großen Koalition. Für solche Leute schlägt das Herz der Kanzlerin, die eine ausgeprägte Schwäche für Beratungsflitzpiepen offenbart, vor allem wenn sie Tietmeyer oder von Pierer heißen.
Oder Glos. Der deutsche Wirtschaftsminister erhellt das Krisen-Tohuwabohu in Absurdistan mit einem besonders dunklen Kommentar. »Wenn der Himmel runterfällt, sind alle Spatzen tot«, raunt er, meint aber mit diesem Orakel vielleicht nicht nur die Zukunft der deutschen Banken, sondern erst recht den so genannten Bildungsgipfel, der vor ein paar Tagen in Dresden stattfand.
Dieser Gipfel war die Höhe: vage Absichtserklärungen, warme Worte, heiße Luft, Sprechblasen, Nullsätze, rhetorische Blähungen, viel Lärm um nichts, mehr Einbildung als Bildung, außer Thesen nichts gewesen, alle Finanzierungsverheißungen ungedeckte Schecks, aber zum Abschluss dann ein rassiges Klassenfoto mit Angie und Annette im Kreis der föderalen Landesfürsten: Bildungsrepublik Deutschland! In Angela Merkels reichem Land der armen Kinder erleben wir die Bildungsministerin als Vorkämpferin für Studiengebühren und unerschwingliche Privatgymnasien, deren Zahl sie zu Lasten der öffentlichen Schulen emsig vergrößert. Die Nachkommen des Geldadels als Elite von morgen, die Unterschicht verdummt in alle Ewigkeit.
Eigentlich schade, dass die deutschen Schulen nicht wie Banken behandelt werden.
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