Die Nord-Süd-Klimaschaukel
Messungen zeigen: Meerwasser vor Antarktis kühlt ab, während Arktismeer wärmer wird
Als uns vor einigen Jahren die Kunde erreichte, dass ein warmes Klima sehr schnell in ein kaltes kippen kann (und umgekehrt), waren nicht nur die Ökofreaks geschockt. Untersuchungen an zwei Eisbohrkernen vom grönländischen Inlandplateau hatten gezeigt: Während der insgesamt wechselhaften letzten Eiszeit ereigneten sich dramatische Klimasprünge innerhalb weniger Jahre.
Die Wissenschaftler nahmen damals an, dass diese kurzzeitigen Wechsel, nach ihren Entdeckern Dansgaard-Oeschger-Events genannt, auf die Nordhalbkugel der Erde beschränkt seien. Dem ist aber nicht so. Schon vor zehn Jahren gab es erste Hinweise auf ähnlich krasse Klimawechsel in der Antarktis. Und was das Überraschende war: Zwischen beiden scheint es einen Zusammenhang mit entgegengesetzten Vorzeichen zu geben. Zwar hatten Simulationen mit Computer-Modellen ein regelrechtes Oszillieren der Klimamaxima und –minima zwischen Nord- und Südpolargebiet gezeigt, aber den Beweis mussten die Glaziologen zunächst schuldig bleiben, weil die Datierung der »Schichten« in Eiskernen mit Hilfe der Kohlenstoff-14-Methode zu ungenau war.
Das internationale Forschungsprogramm BIPOMAC (Bipolar Climate Machinery – Bipolare Klimamaschine), an dem sich 22 Nationen beteiligen, hat einige Klarheit in die Wechselbeziehungen zwischen den entgegengesetzten Polen der Erde gebracht. Rainer Gersonde vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven der das Programm koordiniert, lässt keine Zweifel mehr gelten: Das Klima in der Arktis und der Antarktis hat sich in den vergangenen 20 000 Jahren gegensätzlich entwickelt. »Wir konnten zum ersten Mal anhand hochaufgelöster Klimakurven für einen Eiskern aus Grönland und für den bei uns untersuchten EPICA-Eiskern von der deutschen Antarktisstation ›Heinz Kohnen‹ darstellen, dass es tatsächlich eine Klimaschaukel zwischen Nord und Süd gibt und wie sie zeitlich synchron funktioniert.« Den Zugang fanden sie, indem sie den Zeithorizont der Eislagen nicht wie bisher durch Analyse des in Luftblasen eingeschlossenen Kohlendioxids zu ermitteln versuchten, sondern an Hand der Konzentrationen des dort gespeicherten Methans.
Vermittelt und gesteuert wird der Einfluss des einen Klimapols auf den anderen durch die Zirkulation der ozeanischen Wassermassen. Gersonde beschreibt die Funktionsweise der Klimamaschine folgendermaßen: Vor etwa 21 000 Jahren begann das letzte glaziale Maximum abzuflauen, weil auf der Nordhalbkugel die Sonneneinstrahlung im Sommer zunahm. In der Atmosphäre reicherten sich Treibhausgase an. Das führte zur heutigen Warmzeit. Durch die höheren Temperaturen gelangten jedoch erhebliche Mengen Schmelzwasser in den Nordatlantik: Die durch Temperaturunterschiede und Salzgehalt bedingte sogenannte thermo-haline Ozeanzirkulation wird schwächer, beziehungsweise bricht zusammen. Die Erwärmung der Nordhemisphäre wurde abrupt unterbrochen. »Die Folge ist«, erklärt Gersonde, »dass sich weniger kaltes, sauerstoffreiches Tiefenwasser bildet. Die Südhemisphäre reagiert mit zunehmender Erwärmung, die nach Erreichen eines Schwellenwertes die thermo-haline Zirkulation wieder rasch ankurbelt. Aber kaltes Schmelzwasser unterkühlt die Temperatur der südlichen Gewässer. Jetzt wird es im Süden kälter. Das kalte Wasser fließt in den Atlantik und treibt die Energiepumpe zwischen Meeresoberfläche und Tiefsee im Norden an. Daraufhin beginnt sich aufs Neue die Nordhalbkugel zu erwärmen.« Und so geht es im Wechsel weiter.
Vor etwa 11 000 Jahren hat sich ein weitgehend stabiles warmes Klima etabliert, das nur noch einmal, vor etwa 8000 Jahren, durch eine kurzzeitige Abkühlung unterbrochen worden ist. Auch die Konzentration der Treibhausgase ist über Jahrhunderte annähernd gleich geblieben. Erst seit den vergangenen fünfzig Jahren wird das natürliche Klima verstärkt durch menschliche Einflüsse verändert – mit den bekannten verheerenden globalen Auswirkungen.
Die große »Polarstern«-Expedition des Alfred-Wegener-Instituts vergangenes Jahr ins Weddellmeer offenbarte, dass die Tiefsee in der Antarktis nach jahrelanger Erwärmung wieder kälter wird. Gleichzeitig haben Satellitenaufnahmen die höchste Ausdehnung von Meereis im Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen registriert. Da sich die nordpolaren Gewässer gegenwärtig stark erwärmen (der arktische Sommer 2008 war der wärmste in der etwa sechzig Jahre langen Messreihe), könnte dieses Ergebnis die Hypothese von der »Klimaschaukel« zwischen Nord und Süd bestätigen. Allerdings reichen die Daten noch nicht aus, um Zuverlässiges über den künftigen Trend sagen zu können. Das ist ja der Grund, weshalb die Klimatologen so angestrengt in die Vergangenheit schauen; anhand der verschiedenen Klimaarchive, die Informationen über lange Zeitreihen enthalten, können die Mechanismen klimatologischer Umschwünge erkannt und genauer modelliert werden. Fest steht, es handelt sich um physikalische Gesetzmäßigkeiten, sagt Rainer Gersonde, die immer – auch heutzutage – gelten, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind.
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