Was blieb vom Einsatz in Kriwoi Rog?

Ein RGW-Projekt wurde zur Industrieruine

  • Hannes Hofbauer
  • Lesedauer: 2 Min.
Der Titel des Buches ist sperrig: »Das eiserne Problem des Sozialismus. Ukrainisches Erz zum hohen Preis. DDR und BRD beim Bau des Bergbau- und Aufbereitungskombinats Kriwoi Rog«. Auf über 500 Seiten haben etliche Autoren einen Teil ihres Arbeitslebens aufgearbeitet: den Bau eines Kombinats zur Gewinnung von Eisenerz im ukrainischen Kriwoi Rog zwischen 1985 und 1992. Heute ist es die größte Industrieruine Europas.

Damals geheim, heute vergessen. So könnte man das Projekt »BAK Kriwoi Rog« beschreiben, das seinerzeit Kräfte aus der Sowjetunion, der DDR, der CSSR, Rumänien, Bulgarien und Polen band. Über 8000 Arbeiter waren im Auftrag ihrer Industrie- und Metallurgieministerien angetreten, um aus jahrelang aufgeschütteten Halden von oxidiertem Eisenerz ein Konzentrat zu gewinnen, das in Form von Eisenerzpellets den Grundstoff für sozialistische Hüttenkombinate liefern sollte. Vergeblich. Schon die Technologie der Starkfeld-Magnetscheidung, die taubes Gestein von erzhaltigem trennen sollte, funktionierte nicht auf dem erforderlichen Niveau. Dazu kamen ab 1986 die politischen Umbrüche im RGW-Raum und Ende der 80er Jahre ein Verfall des Stahlpreises, so dass Kriwoi Rog den Zerfall des sozialistischen Wirtschaftsraums nicht überlebte. Seit ein paar Jahren bemühen sich Mittal Steel und andere Große der Stahlbranche um den günstigen Erwerb der Anlage, die ein Neubaugebiet mit tausenden Wohnungen einschließt. Immerhin hatte Mittal Steel 2005 das größte ukrainische Stahlwerk in unmittelbarer Umgebung, Kriworizhstal, für 800 Millionen US-Dollar erworben. Das Bergwerks- und Aufbereitungskombinat BAK findet dagegen bislang keinen Käufer.

Die Autoren des Bandes tun sich schwer mit einer grundsätzlichen Distanz zum einstigen Gigantismus. Gleichwohl scheuen sie sich nicht, die Nutzlosigkeit des Unterfangens herauszustreichen, das in der DDR wie ein Geheimprojekt auf der Stufe der Landesverteidigung behandelt wurde, und von der »Entwertung der Arbeit zehntausender Menschen« zu sprechen.

Interessant ist das Buch vor allem wegen seines dokumentarischen Charakters im Blick auf die Arbeitswelt der 80er Jahre beim größten gemeinschaftlichen Industrieprojekt des RGW. Hunderte Fotos unterstreichen den Willen der Beteiligten, Integration zu praktizieren, wenn sie auch technisch und – letztlich – politisch nicht funktionierte.

Im Interview schätzt der frühere Staatssekretär im Ministerium für Erzbergbau, Klaus Blessing, realistisch ein: »Insgesamt bin ich der Auffassung, dass das Integrationsprojekt Kriwoi Rog von politischen Prämissen geprägt war. Der Zwang zur Einsparung westlicher Devisen und das Risiko der Erpressung der DDR durch westliche Embargomaßnahmen ließen keine andere volkswirtschaftliche Lösung zu, auch wenn die praktizierte Lösung betriebswirtschaftlichen Kriterien nicht standhielt.«

In jahrelanger Arbeit bemühten sich die Autoren rund um Rolf Junghanns um die Aufarbeitung des damaligen Geschehens. Mag ihre Sprache oft auch sperrig anmuten, sie haben sich mit diesem Band selbst ein Denkmal gesetzt. Es konnte nicht heroisch ausfallen, denn unschwer sind die weit über das Projekt »BAK« hinausreichenden Defekte der RGW-Integration zu erkennen.

Das eiserne Problem des Sozialismus. Ukrainisches Erz zum hohen Preis. Schibri Verlag 2009. 516 Seiten. Zu bestellen über: schibri-verlag@t-online.de

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