Wilde, einsame Jahre

George Grosz schrieb einen Lebensbericht, der neu erscheint

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 5 Min.

Am Ende zeigte er auch noch, was für ein vorzüglicher Erzähler er war. Er lebte seit langem in den USA, dem Land seiner Träume, er hatte Deutschland schon verlassen, ehe es in die Hände Hitlers geriet, aber dann wurde es doch nicht die große Zeit. »Deutsche Kunst«, schrieb George Grosz im August 1932 an Max Pechstein, »kennt man leider hier noch wenig.« Er war nach New York eingeladen worden, um als Gastdozent an der Art Students League zu unterrichten, und hatte ein gutes halbes Jahr später, am 12. Januar 1933, Berlin endgültig verlassen, um sich eine Wohnung auf Long Island zu nehmen. »Die mich hier kannten«, erinnerte er sich später, »bewunderten mich als Satiriker. Sie schätzten in mir den Zeichner, der jahrelang haßvolle, bittere Grimassen über seine Mitmenschen geschnitten hatte.«

Viele freilich waren es nicht, die eine Ahnung hatten, wer er war. Dass sein Ruhm in Amerika ein »kleiner Ruhm« gewesen ist, »zudem ein schwer verkäuflicher«, hat er ziemlich rasch erkennen müssen. Damals, am Beginn seines Exils, im August 1933, meinte der vierzigjährige George Grosz in einem langen Brief an Wieland Herzfelde, er sei eigentlich das geblieben, was er immer war und sein wollte: ein »rechter Pessimist«. Er stamme aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, schrieb er, und sei nie Marxist gewesen, eher das Gegenteil, aber er habe merkwürdigerweise »der marxistischen Lehre und dem marxistischen Glauben« mehr Dienst erwiesen als mancher sogenannte klare Theoretiker und Denker. »Einige Bilder von unserem … ›deutschen‹ Volk wurden überall berühmt …« Aber das alles gehörte schon zu einem Leben, mit dem er abgeschlossen hatte.

Irgendwann in diesen amerikanischen Jahren entschloss er sich, von alledem ein bisschen ausführlicher zu berichten. Er erzählte, wie es gewesen ist in den Tagen der Kindheit in Pommern, wie er später den Buchhändler Schönboom kennenlernte, der ihm alle Kunstblätter zugänglich machte und bei dem er sein erstes Gemälde kopierte, das sogar ins Schaufenster gestellt und für 4,85 Mark an einen Gutsbesitzer verkauft wurde. Er schrieb mit leichter Hand, anschaulich und mit Humor, er ließ auch Beiläufiges nicht aus, etwa den Nachmittag, den er mit Erwin, einem ehemaligen Volksschullehrer, im Haus Karl Mays verbrachte. Er studierte inzwischen an der Dresdner Kunstakademie und stieg an einem verregneten Herbsttag in die Bahn, um nach Radebeul zu fahren. Es gab Milchkaffee und Napfkuchen, und dann erschien auch der Meister, gab den Besuchern die kleine, welke Greisenhand, sprach über seinen bevorstehenden Prozess, und Grosz wunderte sich, dass der kühne und flinke Old Shatterhand ein »kleiner, feiner, hochzugeknöpfter Herr mit weißem Schnurrbart« war.

Seine großen Momente hat der Lebensbericht natürlich, wenn George Grosz noch einmal im Berlin der zwanziger Jahre weilt. Er hatte zu den Dadaisten gehört und war nach dem Ersten Weltkrieg unversehens in »politisches Fahrwasser« geraten. Es waren wilde Jahre: »Ich nahm am Leben teil, stürzte mich hinein und kam sofort mit Kräften in Berührung, die aus dem absoluten Nichts herauswollten.«

Er trieb immer mehr nach links, trat der KPD bei, die er später wieder verließ, und zeichnete die Visagen und Leiber der herrschenden Klasse. »Wenn Zeichnungen töten könnten«, schrieb Kurt Tucholsky 1920, »das preußische Militär wäre sicherlich tot. (Zeichnungen können übrigens töten.) Seine Mappe ›Gott mit uns‹ sollte auf keinem gut bürgerlichen Familientisch fehlen – seine Fratzen der Majore und Sergeanten sind infernalischer Wirklichkeitsspuk. Er allein ist Sturm und Drang, Randal, Hohn und – wie selten – Revolution.«

Seine Berliner Wohnung, sagt Grosz, ist damals ein Wartesaal gewesen. Immerzu kamen Leute. Er war berühmt. Man redete, man stritt, zwischendurch reiste er in die Sowjetunion, wo er viel Positives nicht finden konnte, und er lernte sie alle kennen, die die Kunstszene prägten, Maler, Schauspieler, Schriftsteller, darunter Maximilian Harden, Harry Graf Kessler, Sergej Tretjakow, Brecht, Walter Mehring, Tucholsky, Josef von Sternberg, der den »Blauen Engel« drehte, oder den Revoluzzer Max Hölz. Am längsten kannte er Wieland Herzfelde, der ihm den Start in der »Neuen Jugend« ermöglicht hatte.

Das war 1932 mit einem Schlag vorbei. George Grosz, der scharfe, höhnische, ironische und bei alledem skeptische Gesellschaftskritiker, den es aus Deutschland nun forttrieb, wie es in seinen Erinnerungen heißt, machte seinen naiven Kindertraum wahr. »Es macht Spass, Amerikaner zu werden«, schrieb er seinem Freund, dem Schriftsteller Ulrich Becher. Doch so spaßig ist es dann nicht geworden. Was er gemacht hatte, fand hier keine Resonanz. Er bemühte sich, »den Amerikanern zu liefern, was sie von mir wollten«. Er ließ seine Vergangenheit hinter sich. Keine Fratzen mehr, keine Politik. Stattdessen hoffnungslose Anpassungsversuche. Der Griff zur Flasche hat ihn schließlich vor der Verzweiflung bewahrt.

Er war einsam in den USA, aber er blieb in New York auch nach 1945. Das Deutschland des Nachkriegs sah er ohne Illusionen. Er schrieb sein Memoirenbuch und veröffentlichte es 1955 unter dem Titel »Ein kleines JA und ein großes NEIN« bei Rowohlt. Es war lange vergriffen. In ein paar Wochen, endlich, wird es, attraktiv aufgemacht, wieder zu haben sein. Bei Schöffling bereitet man zur Zeit die Neuausgabe vor.

Am 28. Mai 1959 kam George Grosz doch noch zurück. Er ließ sich in Westberlin nieder und starb kurz darauf nach einer durchzechten Nacht in einem Hausflur am Savignyplatz. Man schrieb den 6. Juli 1959.

George Grosz: Ein kleines JA und ein großes NEIN. Sein Leben von ihm selbst erzählt. Im Anhang: Ulrich Becher, Der große Grosz und eine große Zeit. Verlag Schöffling & Co., 380 Seiten, geb., 32 €. Ab September im Buchhandel.

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