Mit oder ohne Ernst Moritz Arndt
Die Greifswalder Universität streitet wieder über ihren Namenspatron
»Das ganze Deutschland soll es sein«, stand auf der Medaille, die die Nationale Front der DDR vor allem an Kulturschaffende verlieh, ein bekannter Preisträger ist etwa Johannes R. Becher. Benannt war die Medaille nach dem Schriftsteller Ernst Moritz Arndt – dem Antifaschisten. Schon im Krieg begannen die Sendungen des »Nationalkomitee Freies Deutschland« mit einer Arndt-Melodie: Dem Beginn des Liedes »Der Gott, der Eisen wachsen ließ«. Dieser, heißt es, »wollte keine Knechte«. Der Arndt des NKFD hatte geschrieben, dass Soldaten ihre Eide brechen dürften, wenn ihre Führer befählen, Gewalt zu üben »wider die Unschuld und das Recht«.
Es gibt aber einen zweiten Orden, der den Pommern beschwört, diesmal als Konservativen: Die Ernst-Moritz-Arndt-Plakette, verliehen vom »Bund der Vertriebenen« etwa an den Berufs-Schlesier Paul Latussek, selbst im »BdV« als Rechtsausleger bekannt. Und dann gibt es noch den Arndt, nach dem die Nazis Schulen benennen ließen – und die Universität Greifswald, an der Arndt, 1769 als Sohn eines Ex-Leibeigenen auf Rügen geboren, Theologie studierte und später Geschichte lehrte. Die Nazis betrachteten ihn, der während des Napoleonismus gegen alles Französische gehetzt hatte und später die Juden als »Ungeziefer« bezeichnete, als »Vordenker«.
Was macht Arndt aus? Die Gegnerschaft zur Leibeigenschaft oder der Hass auf den »Kosmopolitismus«? Die Verachtung der Kleinstaaterei oder die nationale Abgrenzung? Eine Polemik, die lange sehr instrumentell geführt wurde. Dem NKFD etwa ging es darum, einen breiten Nenner für eine Volksfront zu schaffen, an der sich auch Deutschnationale beteiligen konnten. In Greifswald hat dies auf unheimliche Art geklappt: Der selbe Professor, der sich vor 1933 dafür starkgemacht hatte, initiierte vor 1954 die Wiedereinführung des Namens, der unmittelbar nach dem Krieg nicht mehr verwendet worden war. Seine Loyalität hatte er von NSDAP auf SED umgestellt.
In dem Text, der auf der Internetseite der Uni den Patron erklärt, verweist wenig auf dieses bewegte Stück Geschichtspolitik. Arndts Auffassungen, heißt es dort so salomonisch wie nichtssagend, beinhalteten zum einen »die Forderung unteilbarer individueller und bürgerlicher Freiheit und Menschenrechte« und der »nationalen Einheit«, richteten sich andererseits aber gegen die Emanzipation der Juden, ergingen sich in »völkischen Abgrenzungsszenarien« und transportierten einen »zeittypischen« Rassismus gegenüber Nicht-Europäern.
Auch dieser Text hat Geschichte: Verfasst wurde er in zweijährigem Streit von einem Archivar und einem Geschichtsprofessor der Uni – wobei sich letzterer vorsichtig distanziert hat. Der Geschichtsstudent Sebastian Jabbusch hält ihn für ein Rückzugsgefecht. Er gehört zu einer Studierenden-Gruppe, die eine Aufgabe des Namens betreibt – mit einigem Erfolg.
Im Juni sprach sich eine Vollversammlung der Studierenden mit 95 Prozent gegen Arndt aus, nun werden Unterschriften gesammelt für die erste Urabstimmung in der Geschichte der Uni. Jabbusch rechnet mit »60 plus X« gegen Arndt. Auch im Senat der Uni habe ein »Umdenken« begonnen. Gegen eine entsprechende Kommission gab es kaum Gegenstimmen. Jabbusch ist optimistisch, dass die Uni »bald nicht mehr nach Ernst Moritz Arndt heißt«.
Die Rückendeckung der Geschichts- und Literaturwissenschaft an der Universität ist den Studierenden dabei sicher. Walter Baumgartner, Hartmut Lutz, Werner Buchholz, Thomas Stamm-Kuhlmann, Arno Herzig und Reinhard Bach haben sich erst kürzlich auf einem Podium mehr oder weniger gegen Arndt ausgesprochen. Lutz und Buchholz hatten schon 2001 mit einer Konferenz eine Debatte über den Namen angestoßen. Ungefähres Fazit: Das Xenophobe, Ausgrenzende, Antisemitische überwiegt – aus der heutigen und morgigen Sicht, der eine Uni verpflichtet sein sollte.
Damals war die Initiative noch versandet – und zumindest Lutz von rechten Drohbriefen geplagt worden. Es gibt offenbar noch immer genug Leute, die Arndt sein Grab nicht gönnen wollen.
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