Wahlplakate machen Po-litik. Fehlt nur noch: In'n Sack hauen
Keiner wusste bis gestern, wo Kaarst liegt. Hätte man auf x-beliebiger Straße danach gefragt, wäre als Antwort gekommen: am Arsch der Welt. Was absolut richtig ist: in Nordrhein-Westfalen. Womit wir dem Thema, um das es hier geht, schon mal voll an die Backen gegangen sind.
»Bündnis 90/Die Grünen« werben im fernen NRW-Kommunalwahlkampf mit nebenstehendem Plakat. Die »Initiative Schwarze Menschen in Deutschland« – die alle Gründe hat, wachsam zu sein – nennt dieses Plakat »rassistisch und sexistisch«, denn die »Weißen Frauenhände grapschen, der Schwarze Körper ist passive Verfügungsmasse für die Assoziationen der WählerInnenschaft«. Nun ja, Adorno hat so ähnlich formuliert, aber Stillhalten – das kann doch höchste Aktivität bedeuten. Und wer jetzt weiß, was damit gemeint sein könnte, dem ist es sehr egal, ob man das sexistisch oder aber schön nennt ...
Man darf das Ganze, im Gegensatz zur Berührungsart, die etwa Baseballschlägern eigen ist, eine Liebesszene nennen. Was das Plakat zeigt – ist das nicht im wahrsten Sinne des Wortes ein äußerst ansehnlicher Migrations-Hintergrund? Außerdem: In Kaarst mit schwarzer Rück-Sicht Po-litik zu machen, ist attraktiver als fortwährende Bilder von Angela Merkel und der frauenfeindlichsten Erfindung, dem Hosenanzug.
Die Berlinerin Halina Wawzyniak von der LINKEN wirbt ebenfalls mit hinteren Regionen ihres Körpers – in der Hoffnung, im Bundestag ein Gesäß, äh, einen Sitz zu bekommen und dabei nicht nur zu den Hinternbänklern zu gehören. So sind Wahlkampfplakate der bemühte Nachvollzug des obwaltenden Grundgesetzes öffentlichen Miteinanders: Auf fällt nur, was auffällt. Wer bemerkt werden will, muss Marke setzen. Das lehrt uns jeder Hund. Auf den längst auch die Politik kam. Aus Notwehr. Sie kann vielfach, oftmals nicht mehr für wahr genommen werden, aber sie will doch weiterhin wahrgenommen werden.
Der Preis der Spassssssgesellschaft ist just dieser herunterkommende Witz. In den Parteienköpfen viel Leere (oben ohne), unter der Gürtellinie aber volles Programm. Zum Lachhaften gehört dann freilich auch die Humorlosigkeit, mit der politisch korrekt auf bestimmte Plakate reagiert wird. Liest man die bitter ernsten Proteste gegen die Wahlwerbung aus Kaarst, so wird die Geschwindigkeit ahnbar, mit der man ungewollt zum Rassisten werden kann. Man traut sich nicht mal mehr, in der U-Bahn zum Schwarzfahrer zu werden. Immerhin: Wer hätte gedacht, dass ein Wahlkampf noch solche sittsamen Impulse auslöst.
Zwischen Steinmeiers Witz mit der künftigen Vollbeschäftigung und den unerotischen Arschtaschen der Frau Wawzyniak besteht nur ein gradueller Unterschied. Dem allgemeinen Sinninfarkt im gesellschaftlichen Austausch antwortet eine Politikwerbung, die beflissen dem TV-Betrieb folgt – dem Leitmedium, dessen Hauptregel man sich im Politikgeschäft ohnehin zu eigen gemacht hat. Denn längst handeln doch Fernsehen und Parteien Hand in Hand: Man entschuldigt sich nur für Störungen, nie fürs Programm.
Merkels Busen ist Wahlwerbung geworden, und wenn die LINKE mit einem Frauensitzfleisch auf Stimmenfang geht, wird es wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis Gysi, Lafontaine und Bisky eins drauf setzen: Wir kämpfen für soziale Gerechtigkeit – wie es bei uns der Bauch ist! (Glücklicherweise blieb uns die plakatierte Prophezeiung: »Wir hau'n die SPD in den Sack!« bislang erspart.)
Politikers Not, seine eigene Existenz als erste Wahl rasch konsumierbar für den Bürger zu machen – diese Not produziert im Wahlkampf Programmkürzel, Spots, Pointen, deren Leere nicht stört. Die Beschussquote an Reizen nimmt zu; noch der alternativlüsternste Einfall bestätigt den allgemeinen Trend einer Uniformierung des Bittens um Gehör und Stimme.
Dass man sich über solche Plakate die Mäuler zerreißt, täuscht kurz über deren eigene zerrissene Zukunft hinweg. An Lichtmasten werden sie aufgeweicht hängen, derzeit noch so grell, aber im Wesen zittert doch jedes Plakat mit trauriger Gewissheit: Heute zeige ich mein Gesicht, meinen Arsch, schon morgen will keiner mehr wissen, warum es mich gab.
Wenn der Bundeswahlkampf auf Hochtouren kommt, werden viele Kandidaten-Gesichter an den Straßen hängen. Man möge sie anschauen, ans Plakat aus Kaarst denken und darüber nachdenken, was sehenswerter ist.
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