Triumph des Menschlichen
Der Spanier Pablo Pineda hat trotz Down-Syndrom studiert. In Deutschland wäre das kaum möglich
Sein Schicksal habe er sich zwar nicht ausgesucht. Aber er sei stolz, ein Mensch mit Down-Syndrom zu sein, sagt Pablo Pineda, der heute 34 Jahre alt ist und im südspanischen Málaga lebt. Schon als er vier war, begannen seine Eltern, ihm die Buchstaben beizubringen. Mit Erfolg. Noch vor seiner Einschulung konnte Pablo einfache Texte lesen. »Ich habe immer an meinen Jungen geglaubt«, erzählt seine Mutter, »und ihn von klein auf wie ein ganz normales Kind behandelt.« Trotzdem hatte Pablo bereits in der ersten Klasse das Gefühl, dass er irgendwie anders ist als die anderen Kinder, denn diese blickten eher mitleidig auf ihn: »Du Armer!«
Vorurteile halten sich hartnäckig
Eines Tages wurde Pablo ins Lehrerzimmer gerufen. Ein freundlicher Herr, der sich als Don Miguel vorstellte, fragte den Schüler, ob er wisse, dass er das Down-Syndrom habe. »Aber ja doch«, antwortete Pablo, obwohl ihm völlig rätselhaft war, wovon der Mann sprach. Der Mann war übrigens Miguel-López Melero, ein Pädagoge von der Universität Málaga, dem eine Studentin zuvor von dem aufgeweckten Jungen berichtet hatte. Und während Melero anfing, Pablo etwas über das Down-Syndrom zu erzählen, wollte dieser nur eines wissen: »Don Miguel, bin ich dumm?« Als Melero dies entschieden verneinte, kam Glanz in Pablos Augen und er stürmte freudig hinaus auf den Pausenhof.
Was dann geschah, lässt die ansonsten von den Medien gern hochgespielten Erfolgsgeschichten der Stars und Superstars nur noch banal und lächerlich erscheinen. Pablo Pineda zeigte allen Skeptikern, dass ein junger Mensch mit Down-Syndrom keineswegs dazu verurteilt ist, auf ewig ein Kind zu bleiben. Er besuchte die Sekundarstufe, die Oberstufe, blieb zweimal sitzen und machte dennoch das Abitur. Danach schrieb er sich an der Uni für das Lehramtsstudium ein. Als er den ersten Abschluss in der Tasche hatte, spezialisierte er sich auf das Fach Psychopädagogik – mit der Begründung: »Ich möchte später an einer Schule arbeiten, an der schwer erziehbare Kinder unterrichtet werden.«
Inzwischen besitzt Pablo ein Universitätsdiplom. Und er hat an einer Grundschule in Córdoba sein Lehrer-Praktikum absolviert. Was er den Schülern dort erzählte, bringt er auch bei seinen zahlreichen Vorträgen und Fernsehauftritten zur Sprache. Nämlich dass Menschen mit Down-Syndrom in unserer Gesellschaft mit hartnäckigen Vorurteilen zu kämpfen haben: »Man gibt uns keine Chance, und in den Lehrbüchern wird unser Lebensweg als Sackgasse beschrieben.« Pineda ist deshalb auch keineswegs sicher, wie sich seine spätere Karriere als Lehrer entwickeln wird. Denn viele Familien hätten Angst vor Menschen mit Down-Syndrom, sagt er, hätten nicht gelernt, mit Abweichungen von der sogenannten Normalität umzugehen.
Dabei kommt alle drei Minuten irgendwo ein Baby mit Down-Syndrom auf die Welt. In Deutschland gibt es derzeit rund 50 000 Menschen, die diesen Gendefekt haben, der auch als »Trisomie 21« bezeichnet wird. Denn bei den meisten Betroffenen ist das Chromosom 21 dreimal vorhanden, so dass sich in ihren Zellen nicht die üblichen 46, sondern 47 Chromosomen befinden. Dadurch kommt es zu Veränderungen sowohl im körperlichen als auch im geistig-intellektuellen Bereich, die aber von Person zu Person stark schwanken.
Da man das überzählige Chromosom weder blockieren noch ausschalten kann, lässt sich das Down-Syndrom streng genommen nicht beheben. Dennoch ist das Schicksal der Betroffenen nicht genetisch fixiert. Im Gegenteil, durch eine konsequente Förderung, die schon möglichst früh einsetzen sollte, entfalten Menschen mit Down-Syndrom eine Reihe von Fähigkeiten und Begabungen, die man ihnen noch vor 20 Jahren nicht zugetraut hätte.
Das jüngste und beste Beispiel dafür ist Pablo Pineda, der, weil er noch keine feste Anstellung als Lehrer gefunden hat, gelegentlich im Rathaus jobbt. »Wir versuchen hier, mehr behinderte Menschen in Firmen unterzubringen«, erklärte er dazu in einem Interview, das er jedoch mit Blick auf die Uhr abrupt beendete. Er müsse jetzt leider gehen. Warum? Nun, darauf gab Pineda eine Antwort, die eines echten Spaniers würdig ist: »Heute Abend spielt mein Lieblingsverein Real Madrid, und ich habe schon die erste Halbzeit verpasst.«
Erziehung zur Unabhängigkeit
Während in Spanien die meisten Kinder mit Down-Syndrom die reguläre Schule besuchen und das häufig mit Erfolg, werden sie in Deutschland noch immer oft ausgegrenzt. »Schon dadurch, dass sie in spezielle Förderschulen und -kindergärten gehen, erfolgt eine Trennung von den Nachbarskindern«, beklagt ein Vater, dessen Sohn von Trisomie 21 betroffen ist. Aber auch in der Freizeit stoße man wiederholt auf große Hindernisse. Wer sein Kind etwa bei einem Sportverein anmelden wolle, erhalte nicht selten eine Absage und werde in der Regel an den Behindertensport verwiesen.
Natürlich gibt es Menschen mit Down-Syndrom, die pflegebedürftig sind. Für die anderen jedoch wäre es von Vorteil, würde man sie nicht gleichsam unter einer schützenden Glocke aufwachsen lassen. Sondern inmitten der Gesellschaft, wie Pineda sagt: »Man muss diese Menschen so erziehen, dass sie unabhängig und glücklich sein können. Man muss ihnen Freiheiten zugestehen, sie dem übermäßigen Beschützerbedürfnis der Eltern entziehen. Außerdem sollte man ihnen gestatten, auch schlechte Erfahrungen zu machen.« Das ist praktizierte Humanität und lässt Menschen mit Down-Syndrom spüren, dass sie eine Bereicherung für unsere Gesellschaft darstellen. Und das soll keine »politisch korrekte« Floskel sein. Denn wer einmal vor dem Fernseher miterlebt hat, wie lebendig und freundlich Pablo Pineda seinen Gesprächspartnern begegnet, wird mir hoffentlich zustimmen, wenn ich sage: Wir »Anderen«, die wir oftmals gleichgültig und respektlos miteinander umgehen, können von Menschen mit Down-Syndrom verdammt viel lernen.
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