Wappentier mit Retrogenen?

  • Reinhard Renneberg, Hongkong
  • Lesedauer: 3 Min.
Vignette: Chow Ming
Vignette: Chow Ming

»Krummbeinig, aber hochintelligent – wie unsere Renneberg-Sippe«, so präsentierte uns mein Vater selbstironisch-stolz unseren Familienhund, einen Dackel. Soweit ich mich erinnere, war ich in der Kindheit stets von Dackeln umgeben. Noch heute liebe ich ihre verschmitzte Art und bewundere ihren Mut, in aktive Fuchsbaue reinzukriechen – ihre Kurzbein-Anatomie und der gedrungene Körper machen es möglich. Doch wie hat man aus einem aufrechten Wolf nun Dackel oder andere Kurzbeiner gezüchtet?

Dackel, Bassets und andere Hunderassen sind durch die Veränderung ihres Erbguts zu den markanten Stummelbeinen gekommen. Im Fachjournal »Science« (DOI: 10.1126/science. 1173275) berichten darüber Heidi Parker, Elaine Ostrander und ihre Kollegen vom amerikanischen National Institute of Health in Bethesda. Sie haben die Gene von 835 Hunden aus 76 verschiedenen Rassen untersucht, darunter von 19 (inklusive dem Dackel), die sich durch kurze Beine auszeichnen. Letztere zeigten in einem bestimmten Genbereich auffallende Ähnlichkeiten. Sie betreffen ein Gen für den Wachstumsfaktor FGF4, das auch beim Menschen mit Kleinwüchsigkeit verbunden ist. Eine einzige Veränderung in diesem Gen führte zur Kurzbeinigkeit, erst danach teilten sich die Züchtungen z. B. in Dackel, Corgi oder Bassets auf.

Besonders interessant ist, dass es sich beim FGF4-Gen um ein sogenanntes Retrogen handelt. Wie alle anderen Gene werden auch die Retrogene zunächst kopiert – das Verrückte aber ist, dass diese Kopien an ganz anderer Stelle im Erbmaterial eingefügt werden. »Unsere Forschungsergebnisse lassen darauf schließen, dass die Retrogene in der Evolution eine wichtigere Rolle einnehmen als bisher gedacht – besonders als Quelle großer Vielfalt innerhalb einer Spezies«, schreibt Heidi Parker. »Wir waren überrascht, dass ein einziges Retrogen, das zu irgendeinem Zeitpunkt der Evolution einer Spezies eingebaut wurde, eine solch dramatische physische Eigenschaft hervorbringen konnte, und diese auch noch über den Lauf der Zeit konserviert worden ist.«

Alle Hunde gehören einer einzigen Art an – dennoch bilden sie heute, nach etlichen Neuzüchtungen durch den Menschen, die zahlreichsten und vielfältigsten Formen unter allen bekannten Säugetieren. Die Ursache dieser großen Plastizität ist umstritten. Die Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass schon ein kleine Ursache wie das Auftreten eines Retrogens zu einer bedeutenden Veränderung des Körperbaus geführt haben könnte. Auf ähnliche Weise hätten wohl auch bei anderen Tieren kleine Änderungen zu großen Evolutionssprüngen führen können, sozusagen eine evolutionäre Abkürzung.

Für »meine« Chinesen gilt der Deutsche Schäferhund als Symbol für unseren Nationalcharakter. Mir als Hundefreund wäre, ehrlich gesagt, der Dackel als Nationalsymbol sympathischer. Er könnte als Wappentier der Welt die Deutschen eigentlich besser und freundlicher repräsentieren als der jetzige Raubvogel im Plenarsaal des Bundestages.

Der Grund? Das »Naturlexikon« (www.natur-lexikon.com) beschreibt das Wesen des Dackels so: »Bekannt ist der Dackel für seine Dickköpfigkeit und seinen Eigensinn. […] Unter der Erde war und ist der Hund auf sich alleine gestellt und ohne seine Beharrlichkeit, Selbständigkeit und Furchtlosigkeit könnte er keinen Erfolg bei der Jagd haben. Diese bei der Jagd erwünschten Eigenschaften können den Umgang mit dem Hund manchmal etwas schwierig machen [...]. Er besticht auch mit seiner Intelligenz, seiner Lebendigkeit und seiner Neugier, man sagt ihm auch einen ›Sinn für Humor‹ nach.«

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