Kopf ab mit Musik
Friedrich Hebbels »Judith« bei den Salzburger Festspielen
Eigentlich sollte Jürgen Gosch ja den Hauptakzent in Thomas Oberenders Beitrag zum diesjährigen Salzburger »Spiel der Mächtigen« liefern. Eine Lesung und eine seiner letzten Berliner Regiearbeiten (»Die Möwe«) wurden nun zu einem Gedenken, an den in höchstem Ansehen und allseitiger Bewunderer Verstorbenen.
Wäre Daniel Kehlmann wirklich der mit Überblick gesegnete Tugendwächter über die Autorentreue der Regisseure, zu dem er sich in seiner polemischen Eröffnungsrede aufgeschwungen hatte: Die (mit Stuttgart koproduzierte) Premiere auf der Perner Insel in Hallein bei Salzburg würde ihn, ganz so wie Beckmesser in Wagners »Meistersingern« bei Stolzings Gesang, aus dem Ankreiden der »Fehler« und »Regelverstöße« keinen Moment herauskommen lassen. Denn was Sebastian Nübling da in Szene gesetzt hat, folgt vor allem seinen eigenen Regeln. Es öffnet sich demonstrativ für eine Grenzen verwischende Kombination aus Musik und Theater, aber ohne dass irgendwelche Einspielungen hier nur zur Illustration würden.
Da Antonio Vivaldis lateinisch getextetes Oratorium »Juditha triumphans« eine der Hauptquellen dieser Version von »Judith« ist, und sich der junge Dirigent Lutz Rademacher mit seinen 19 versierten Musikern ebenso souverän dafür ins Zeug legt wie für Lars Wittershagens explodierende, dazwischen schießende Neukomposition, behauptet das Musiktheater ebenso sein eigenes Recht, wie die vom biblischen Buch Judit, Friedrich Hebbel-Passagen und den rotzfrechen Gegenwartstexten der exzessiv auch mitspielenden Anne Tismer stammenden Texte auf dem Schauspiel bestehen.
Dass diese Melange in eine neue Dimension von Gesamtkunstwerk abhebt, liegt an der Vervielfältigung sowohl der kämpferisch, abgrundtief wütenden, jungen, schönen Witwe Judith, als auch an der des brutalen Machtmenschen Holofernes. Den gibt es gleich sechs mal – neben den exzessiv körperbetont agierenden Schauspielern Jonas Fürstenau, Sebastian Kowski, Sebastian Röhrle und Dino Scandariato setzten Bariton Matias Tosi und der Counter Daniel Gloger in einem überdimensionalen schwarzen Reifrock einen besonderen Akzent.
Die drei Judiths stehen für drei Epochen. Von Ausstatterin Muriel Gerstner wie bei Cranach entlehnt, ist die stets elegante Mezzosopranistin Tajana Raj der Vivaldi-Zeit verpflichtet. Während Stephanie Schönfeld gediegenen Hebbel beisteuert, tobt Anne Tismer auf Weltverbesserungstripp durch die Abgründe heutiger Sprachverkommenheit und geht vor Wut auch schon mal im Wortsinne die Wände hoch. Theater im Selbstgespräch über seine Möglichkeiten und Grenzen. Jubel in Hallein.
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