RWE ließ für Atomkraft demonstrieren
Für Azubis wurde ein schöner Tag in Biblis organisiert / Roland Koch als Hauptredner
Die Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretungen (JAV) des Energiekonzerns RWE lud zu einem Aktionstag nach Biblis ein, dem sich auch Delegationen anderer Stromkonzerne folgten. Die rund 1800 Demonstranten wurden auf Firmenkosten aus Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Hamburg und Bayern herangekarrt, verpflegt und unterhalten. Ab dem späten Vormittag bewegte sich die Demonstration vom örtlichen Kraftwerk am Rheinufer zur Kundgebung in die Ortsmitte. Die meisten waren mit kecken T-Shirts uniformiert, die als Aufschrift das Tagesmotto »KERNig in die Zukunft« trugen. Nur eine Gewerkschaftsfahne war zu sehen – die der IG Bergbau-Chemie-Energie.
RWE-Konzernboss Jürgen Groß- mann lobte: »Toll, dass ihr alle an einem Strang zieht.« Er bekräftigte in seiner Rede die Forderung nach einer Laufzeitverlängerung für das Kraftwerk in Biblis und nach einer langfristigen Zukunft für deutsche AKW: »Wir können auf Kernkraftwerke nicht verzichten.«
Ein Demonstrant bemühte ND gegenüber eine über 30 Jahre alte Parole des früheren Stuttgarter Ministerpräsidenten Hans Filbinger (CDU): »Ohne Atomstrom gehen die Lichter aus.« Eine Auszubildende aus dem rheinischen Braunkohlerevier ergänzte: »Atomkraft kann man nicht ersetzen.«
Offensichtlich hatten etliche JAV seit Monaten auf die Veranstaltung hingearbeitet und die Jugendlichen in diesem Sinne unterrichtet. Parolen und Reden wirkten denn auch wie aus einem Guss. Allerdings bestätigten mehrere Jugendliche aus Baden-Württemberg auf Anfrage, dass sie auf Anregung ihres Arbeitgebers nach Biblis gekommen seien.
Als einzige politische Kraft in der Veranstaltung war örtliche CDU-Prominenz sichtbar, die sich im VIP-Bereich tummelte und ihren Ministerpräsidenten Roland Koch als Hauptredner feierte. Dieser sprach aus, was Großmann und seine jungen Hoffnungsträger hören wollten: Man dürfte »nicht aus reiner Ideologie« eine Technologie aufgeben, die auf absehbare Zeit in Deutschland »unverzichtbar« sei. Es sei ein gutes Zeichen, dass »junge Menschen für ihre Zukunft demonstrieren«. Dem CDU-Politiker dürfte ein – professionell erstelltes – Transparent besonders gefallen haben: »Mit Kernkraft in die Zukunft statt mit Rot-Grün in das Mittelalter.«
Buhmann des Tages waren die Grünen. Einige ihrer Wahlplakate wurden von Demonstranten zerstört, beklagte ihr örtlicher Kandidat Christian Gerber. Er warb zusammen mit einer Handvoll Mitgliedern des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) am Rande der Kundgebung für einen Atomausstieg des RWE-Konzerns. BUND-Aktivist Justus Carl berichtete, er sei mit Äpfeln beworfen und aus der Demonstration herausgedrängt worden. Gerber bemängelte, dass die vom Arbeitgeber freigestellten und verpflegten Mitarbeiter aus ganz Deutschland angereist seien, um entsprechende Fernsehbilder aus Biblis zu liefern. RWE und Atomlobby seien trotz ihrer riesigen PR-Maschinerie offensichtlich nicht in der Lage, Menschen aus der Region in ihrer Freizeit zu mobilisieren. »Dass sich Roland Koch nicht zu schade ist, an einer vom Energiekonzern RWE initiierten Pro-Atomkraft-Jubelveranstaltung teilzunehmen, spricht Bände«, kritisierte Janine Wissler für die hessische LINKE.
Der Reaktorblock Biblis A ist mit gut 35 Jahren das älteste in Betrieb befindliche deutsche Atomkraftwerk; Biblis B ist nur unwesentlich jünger. Die geplante Abschaltung der Anlage war in den letzten Jahren Gegenstand heftiger innenpolitischer und juristischer Auseinandersetzungen. SPD und Grüne in Hessen hatten vor knapp einem Jahr in ihrem Regierungsprogramm eine baldige Abschaltung von Biblis A und B vorgesehen und weitere Laufzeitverlängerungen abgelehnt. Dies war in Chefetagen der Stromkonzerne auf heftige Kritik gestoßen, die vor einer (von der Linksfraktion unterstützten) Regierung Ypsilanti warnten.
Schon Anfang 2008 hatte Ex-SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement von einer Wahl der Hessen-SPD abgeraten, die damals mit dem konsequenten Atomkraftgegner Hermann Scheer als Schatten-Wirtschaftsminister in den Wahlkampf gezogen war. Clement sitzt seit seinem Abschied aus der Politik im Aufsichtsrat der RWE-Kraftwerkstochter RWE Power.
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