Russland sieht Gefahr
Moskau fragt nach der Strategie der NATO in Afghanistan
In den ehemals sowjetischen Republiken Zentralasiens weiß man ebenso wie in Russland, dass die Entwicklungen in Afghanistan früher oder später auch Folgen für die Nachbarn zeitigen. Gefahr droht vor allem von islamischen Extremisten in der Region, deren Gruppierungen seit dem afghanischen Bürgerkrieg eng mit den Taliban und deren Verbündeten vernetzt sind. Um deren Comeback, Drogen- und Waffenschmuggel zu bekämpfen, hat Dmitri Medwedjew seinem US-amerikanischen Kollegen Ba-rack Obama engere Zusammenarbeit mit der NATO bei deren Afghanistan-Operation zugesagt.
Eine tragende Rolle könnte dabei Einheiten zufallen, die aus Tadshiken und Usbeken bestehen. Sie hätten, so die Idee, im Norden Afghanistans, wo beide Volksgruppen über deutliche Mehrheiten verfügen, größeren Rückhalt bei der Bevölkerung als die NATO-Soldaten. Über Einzelheiten wollte Außenminister Sergej Lawrow mit NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in New York bei der UN-Vollversammlung reden.
Nach dem Drama bei Kundus könnten solche Pläne jedoch erst einmal auf Eis gelegt werden. Russland, sagte dessen NATO-Botschafter Dmitri Rogosin, müsse zuvor alle Details der NATO-Strategie für Afghanistan kennen und an deren Planung beteiligt werden, um Zwischenfälle wie den bei Kundus zu vermeiden. Daraus spricht die durchaus berechtigte Angst, Russland und dessen Verbündete kämen bei den Afghanen in ähnlichen Verruf wie die westliche »Anti-Terror-Koalition«. Denn 30 Prozent aller Kriegstoten am Hindukusch sind Zivilisten, wie russische Experten hervorheben, die nicht erkennen können, dass Obamas neue Afghanistan-Strategie erste Früchte trägt, wie dessen Verteidigungsminister unmittelbar vor Kundus behauptete. Mehr noch: Hochrangige russische Afghanistan-Veteranen werfen dem Westen eklatante politische Fehler vor.
Dass sich die Spannungen vor allem im lange Zeit ruhigen Norden Afghanistans vergrößern, hat ihrer Meinung nach vor allem zwei Gründe: Geheimdienstliche Informationen sind schlecht oder fehlen ganz. Denn die Bundeswehr übt in ihrem Verantwortungsbereich weder polizeiliche noch militärische Funktionen aus und beschränkt sich auf bloße Präsenz. Vor allem aber rächt sich jetzt die Entmachtung der Nordallianz. Die von Tadshiken und Usbeken dominierte Gruppierung war die einzige, die den Taliban – mit Waffen und Geld aus Russland und Iran – militärischen Widerstand leistete. Lange bevor der Westen nach dem 11. September 2001 das Drama am Hindukusch überhaupt zur Kenntnis nahm. Von Präsident Hamid Karsai und dessen Paten in Washington inzwischen aus der Regierung gedrängt und bei den angeblich demokratischen Wahlen am 20. August womöglich übertölpelt, verfolgt die Nordallianz jetzt voller Schadenfreude, wie die Taliban erneut an Boden gewinnen. Und rührt daher auch keinen Finger, um zu verhindern, dass Islamisten aus den Gebieten an der afghanisch-pakistanischen Grenze nach Zentralasien einsickern.
Die zentralasiatischen Staatschefs fürchten, die Taliban könnten – sobald sie wie Ende der 90er Jahre wieder an Afghanistans Nordgrenzen stehen – gemeinsam mit islamischen Gruppierungen in Usbekistan und Tadshikistan die gesamte Region destabilisieren. Auch Moskau ist an der unkontrollierten Ausbreitung der Extremisten nicht interessiert. Denn dadurch könnten nicht nur die gegenwärtigen Machthaber in Zentralasien, sondern sämtliche Machstrukturen in der Region hinweggefegt werden.
Für Hardliner wie NATO-Botschafter Rogosin wäre das jedoch offenbar das geringere Übel. Schon im Mai warnte er vor engerer Kooperation mit der NATO in Afghanistan. Die Allianz bekäme dadurch definitiv den Fuß in die Tür des einstigen russischen Hinterhofs, Moskau selbst aber hätte davon nichts. Russland könnte dann nicht einmal mehr gegen die weitere Ostausdehnung der NATO protestieren
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