Vom Weg in anderer Menschen Herz
Gisela Steineckert zu einem Buch über die Schauspielerin Ursula Karusseit
Er hat sie gefragt, und sie hat geantwortet. – Die Buchläden sind voll von den Ergebnissen solch edlen Tuns. Einiges hebt sich ab, aber nur manchmal werden wir als Leser hineingelassen in eine Begegnung, die unseren Geist und unser Herz erfreut, weil sie den Respekt früher Erinnerung bestätigt, zum Teil auch neu begründet. Dann bekommen wir ein Geschenk, außerhalb jeglicher Üblichkeit.
Hans-Dieter Schütt ist ein erfahrener Journalist. Auch hier scheint er sich in die Arbeit begeben zu haben, als er in der Sache, um die es ging, sicher war. Er fragt sich nicht durch, um am Ende durch die Antworten klüger zu sein. Er kennt die Sache, wirklich, er kennt sie: »Theater als tolle Direktheit, stark, kräftig, ein Medium der Quälgeister, ein Werk nicht des schönen, sondern des frechen Scheins.« Schütt muss dem Theater bis ins Herz gedrungen sein, sich den Hintern platt gesessen haben, auch, wo es nicht lohnte; er hat sich aufwühlen, begeistern lassen, auch wo andere im selben Raum das vielleicht halb so wild fanden. Für mich ist er ein Mann, der das Recht auf eine lebenslängliche universelle Eintrittskarte hätte.
Meine erste Eloge gilt seinem Vorwort. Ich würde es jedem aufgeschlossenen Lernenden als Lektüre und zum Nachschlagen empfehlen, wenn er ans Theater will, oder sich anschickt, dessen Kritiker zu werden. Es ist ein Kompendium, das sich würdig anschließt an die Auslassungen unter großen Namen, denen auch zu danken ist, dass gewaltsam Zerstörtes wenigstens in ihren Verrissen oder Huldigungen für uns doch eine »Vorstellung« bleibt.
Schütt schreibt: »Das hohe Institut des Theaters ist angewiesen auf jene, die sein stetes altes Wesen tapfer und traditionsbewusst behaupten, zugleich aber auch die Stunde seiner Veränderung mit der Witterung des Künstlers erfassen.«
Die Karusseit hat sich auf ihn eingelassen, er sich auf sie, das war sicher nicht ganz einfach, sie sind zwei sehr unterschiedliche, sehr »fertige« Persönlichkeiten. Sie versuchen Nähe, die aber beiden nur als Annäherung möglich ist. Er mag sie, wohl zunehmend, hat Respekt vor ihr als großer Schauspielerin, aber er lässt sie vor allem ohne jegliche Besserwisserei erzählen, ihre Erinnerungen verteidigen, auf der Hut sein, auch vor ihm, denn sie lässt nicht zu, dass etwas angetastet wird, womit sie zurechtgekommen ist. Aber sie öffnet sich, und es gerät den beiden zu einem kostbaren Fluss, der viel Lebendiges und einiges Versunkene trägt. Da ist dieses wandelbare Weib wie ohne Trauer, sie bejaht alles Gewesene und hält alles Kommende für möglich.
So ist sie, auch im Leben. Sie trauert nicht hinterher, schätzt das Mögliche nicht gering, nur weil sie Unerreichbares erträumt. So war sie schon immer; dass sie es hier dem abverlangenden Zöllner so »einfach« begründet, ist aber sein Verdienst. Sie kann sich auch verschließen. Das geht dann ganz schnell und ist fürs Leben, auch das kann man im Buch nachlesen. Und die Karusseit fühlt sich nicht als Diva, das weist sie zurück. Allenfalls lässt sie die Wahrheit zu, dass es wohl gute Arbeit war und ist, mit der sie anderen Menschen ins Herz gelangt. So reden die von und mit ihr, und sie hat einen Platz in Lebenserinnerungen.
In meinen gewiss. Ihre Stimme kann ich immer sofort erinnern, kenne sie überall heraus – und es ist mir unvergesslich, wie sie Lanzelot entgegenläuft und sich dabei das kostbare Brautkleid vom Leib reißt, das für den Drachen, den Erpresser, den an allem Schuldigen. Wie aktuell! Spielt das vielleicht deswegen heute kein Theater, weil zumindest unser Publikum immer den unausgesprochenen Sinn mitgedacht hat? Dieses Spiel im Spiel war – nur damals? – ein zusätzlicher Gewinn, für die Schauspieler und für uns.
Sie war eine wunderbare Elsa, in der Volksbühne ein herrlicher grober Trampel »Rote Rosa«, im Stück von Hacks, für nur neun Vorstellungen, und sie gab unter der hässlichen Verkleidung in der Rolle doch eine Frau, die sehnsüchtig und sinnlich sein könnte. Vordergründig uneitel, und das ist die Karusseit im Leben auch. Ich lasse offen, dass alle guten Schauspieler ihre Dämonen haben, auch wenn sie die leugnen möchten. Aber wie sollten sie mit dumpfer Seele ertragen können, was ihnen das Stück und die Rolle vorgeben? Den eigenen Tod, die eigene Niederlage, oder einen unglaublichen Triumph, den sie im Leben persönlich nie erleben werden?
Wer noch einmal an ihre großen Rollen aufs Lebendigste erinnert werden will, der lasse sich auf die beiden klugen und rechtschaffenen Leute ein, aus deren Gesprächen ein kostbares, angenehm lesbares, vieles an der Kunst und im Leben dieser Schauspielerin aufhellendes Buch geworden ist.
Helmut Sakowski wird darin mit einer Huldigung zitiert: »Sie ist jung und alt./ Sie ist schön und hässlich./ Sie ist traurig und lustig./ Sie geht wie eine Königin über den Hof./ Und sie latscht müde übers Feld./ Und sie kann es sich leisten, ganz einfach zu sein.«
Es gibt im Buch als Bereicherung einen Text von Matthias Brenner »Was wäre, wenn Ursula Karusseit …«, ein fantasievolles und kluges Spiel. Ich stimme allen Auslegungen zu und erlaube mir nur zusätzlich den Gedanken: Was wäre wohl, ließe man diese große Schauspielerin all jene Rollen spielen, die jetzt aus der dramatischen Weltliteratur für sie dran wären?
Ein kleiner, trauriger Gedanke, aus Liebe und Dankbarkeit. Die Liste der Anlässe dazu erweitert sich nun um ein Buch, das ich in Handnähe halten werde. Man braucht solche Breviere. Aber ich wehre mich, wenn mir jemand bedauernd erzählt, die Usch spiele in der »Sachsenklinik« eine Wurzen. Vielleicht war diese Charlotte das im Drehbuch, aber im Spiel der Karusseit ist das eine richtige ehrbare Rolle, und ich beobachte mit Vergnügen, wie sie noch die Brötchen zu Mitspielern macht.
Die beiden Autoren waren Partner, haben miteinander geredet, vermutlich lange, sie sind dabei Wege übers Land und durchs gespielte und wirkliche Leben gegangen, sie sind ganz bei sich selber geblieben und haben es doch zu einer schwebenden Gleichheit gebracht, die mich erreichte und die ich nicht wieder hergeben werde.
Liebe Leser, kauft, oder leiht aus, und lest.
Ursula Karusseit – Wege übers Land und durch die Zeiten. Gespräche mit Hans-Dieter Schütt. Das Neue Berlin. 192 S., geb., mit zahlr. Fotos, 14,90 €.
Buchpremiere am 21. September, 19 Uhr im Berliner Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!