Einheitsschule als Schimpfwort
In Hamburg traf sich die Gesellschaft für Gesamtschule unter dem Protest der Gesamtschulgegner
»Eine Schule für alle«, lautete die konsequente Forderung in der Max-Brauer-Schule, wo sich die Vertreter der Gesellschaft für Gesamtschule versammelt hatten. Wenig freundlich werden deren Bemühungen seit Jahrzehnten von den Kritikern als Pläne zur »Einheitsschule« gegeißelt. Dass man sich international ohne längeres gemeinsames Lernen selbst ins bildungspolitische Abseits befördert, dürfte inzwischen überall angekommen sein, denn dazu gibt es genügend Vergleichsstudien. Doch gerade die Proteste in Hamburg zeigen, dass im Gegensatz zur GGG, die stets betont, das Kind und der Jugendliche müssten im Mittelpunkt stehen, die Anhänger des mehrstufigen Schulsystems den »Elternwillen« in den Mittelpunkt rücken. Der Wandel zum zweigliederigen Schulsystem (Gymnasium und Stadtteilschule) wird noch akzeptiert, doch die Einführung der Primarschule (1. – 6. Schuljahr) sowie die Abkehr von der alleinigen Elternentscheidung beim Übergang auf das G-8-Gymnasium oder die Stadtteilschule führen besonders bei den besser betuchten Elternkreisen auf massiven Widerstand.
Dieser mündet in ein Volksbegehren vom 28. Oktober bis 17. November, bei dem die Initiative »Wir wollen lernen« 62 000 Unterschriften zusammenbekommen muss. Dafür rüstet man sich bereits jetzt professionell. Finanzielle Ressourcen, deren Mangel bei der Bildungsfinanzierung beklagt wird, scheinen bei der Eltern-Initiative kein Problem darzustellen. Stadtweit will man plakatieren, mit Filmclips mobilisieren, einen Kampagnenladen eröffnen und sogar bezahltes Personal dafür einstellen. Die FDP unterstützt das Volksbegehren, ebenso der konservativ gepolte Philologenverband und der Deutsche Lehrerverband. Auf der Samstagdemo wetterten auch Unionsmitglieder gegen den auch von ihrem CDU-Bürgermeister Ole von Beust gewollten Umbau der Schulpolitik.
Die SPD-Schulexpertin Britta Ernst, im SPD-Schattenkabinett von Ralf Stegner in Schleswig-Holstein just als mögliche Schulministerin in Kiel präsentiert, die bei der April-Demo noch den Schulterschluss mit den Reformgegnern praktizierte, weilte diesmal als Zuhörerin beim GGG-Treffen. Dort erfuhr sie vom wiedergewählten Bundesvorsitzenden Lothar Sack (Berlin), dass dessen Organisation scharfe Kritik am bundesweiten Schulsystem übt. Über den begonnenen Prozess, sich allmählich von der mehrgliedrigen Regelschule zu verabschieden, äußerte er sich kritisch: »Ausgerechnet die Schulformen, die am stärksten die Selektion beibehalten, nämlich das Gymnasium und die Förderschulen, die bleiben unangetastet.«
Intensiv debattiert wurde auch über Inklusion in der Schule, das heißt den Verzicht auf Etikettierung und Sortierung, und die Rolle der Sonderschulen. Die Umsetzung der in Kraft getretenen UN-Konvention bedeute nämlich in der Konsequenz nichts anderes als »Eine Schule für alle«.
Steffen Zillich, bildungspolitischer Sprecher der LINKEN in Berlin, monierte dabei, dass Förderzentren finanziell immer noch besser ausgestattet werden als alle integrativen Bemühungen bei allen anderen Schultypen. Ein anderes Beispiel der Widersprüche in der deutschen Schulpolitik war ebenfalls ein »heißes Eisen« bei der GGG-Zusammenkunft. So konnte niemand richtig beantworten, warum Schulen mit individuell längerem gemeinsamen Lernen sich zwar mit Schulpreisen dekorieren dürfen, ihre progressiven Modelle aber nirgends Eingang in Schulstrukturentscheidungen finden.
Der Erziehungswissenschaftler Heinz Günter Holtappels (Dortmund) gab allen noch mit auf den Weg: Soziale Ungleichheit schlägt auf die Bildung durch. Das zu verändern, müsse man aber bei der sozialen Frage ansetzen und nicht nur an Bildungsinstrumenten herumdoktern.
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