»Der Bau ist eine gute Konjunkturlokomotive«
IG-BAU-Chef Klaus Wiesehügel fordert Konsequenzen aus den Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise
ND: Sie fordern den Neubau von jährlich 250 000 bis 300 000 Wohnungen. Zu welchen Effekten auf dem Arbeitsmarkt führt dies?
Wiesehügel: Ein renommiertes Institut hat sogar den jährlichen Bedarf von rund 400 000 Neubauten errechnet. Wenn tatsächlich so viel gebaut würde, dann könnten darüber rund 745 000 neue Arbeitsplätze entstehen.
Der Bau ist eine gute Konjunkturlokomotive, weil daran auch immer andere Jobs hängen – etwa für Maler, Küchen- und Möbelbauer, Raumausstatter etc. Darüber wird die Binnenwirtschaft angekurbelt.
Die IG BAU will das Thema Wohnungsbau auch zum strategischen Kernthema 2010 machen. Was ist geplant?
Wir werden auf Bundesebene das Thema immer wieder an die Öffentlichkeit tragen, bis es auch bei den politischen Entscheidungsträgern ankommt.
Unsere Orts- und Bezirksverbände tragen das Thema auf die lokale Ebene. Projektgruppen zum Wohnungsbau müssen dort über die Sammlung von Rahmendaten und über Interviews ermitteln, wie die Situation vor Ort jeweils konkret aussieht. Gibt es Bedarf? Oder Überhang? Wie weit fahren Beschäftigte zu ihrem Arbeitsplatz? Wohnen sie überhaupt noch in der Stadt oder sind sie an den Stadtrand oder ins Umland ausgewichen, weil sie sich die teure Miete im Stadtzentrum nicht mehr leisten können?
Mit den Ergebnissen wollen wir dann die lokale Politik konfrontieren. Wahrscheinlich wird diese mit Verweis auf fehlende Gelder an die Länder weiterreichen.
Wenn wir auf allen politischen Ebenen aktiv werden, wird das Thema letztlich aber auch gehört werden müssen.
Sie fordern eine wirtschaftspolitische Wende als Konsequenz aus den Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise. An welchen Stellschrauben muss dabei angesetzt werden?
Wir brauchen eine andere Lohnpolitik. Dass wir bisher nicht so stark wie andere Länder in die Krise gerutscht sind, hängt wesentlich damit zusammen, dass in Deutschland nach wie vor ordentlich konsumiert wird. Das geht natürlich nur, wenn man Geld zur Verfügung hat.
Statt Lohnsenkungen, Urlaubsreduzierung und andere Sozialkürzungen, wie sie von manchen neoliberalen Politikern vorgeschlagen werden, brauchen wir höhere Löhne für die Beschäftigten, ganz besonders auch für Geringverdiener. Wir brauchen dringend Mindestlöhne, von denen man leben kann und die nicht noch vom Staat bezuschusst werden müssen.
Ich bin zudem überzeugt, dass die zunehmende Privatisierung von Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge eine der Hauptursachen dafür ist, dass es zu einer Krise solchen Ausmaßes kommen konnte. Ich fordere eine Rücknahme dieser Privatisierungen, auch wenn man mich wahrscheinlich als einen »Sozialträumer« abtun wird.
Sicher glaubt heute niemand mehr, dass die Telekom wieder ein öffentliches Unternehmen wird. Richtig wäre es aber trotzdem.
Sie fordern auch eine Rücknahme der Verschlechterungen im Arbeitsrecht – etwa bei der Leiharbeit. Was wäre die Alternative?
Es wird immer so getan, als bräuchten wir die Leiharbeit. Tatsächlich werden darüber immer mehr reguläre Arbeitsplätze verdrängt. Diese Form der Leiharbeit muss abgeschafft werden. Die Unternehmen haben die Möglichkeit, befristete Arbeitsverhältnisse abzuschließen, um Auftragspitzen abzufedern. Das reicht eigentlich völlig aus. Die mit der Leiharbeit verbundene Unsicherheit, aber auch etwa die Verschlechterungen durch die Hartz-Reformen mit Ein-Euro- oder Minijobs haben zu einer außerordentlichen Verängstigung der Menschen in Deutschland geführt, die mit anderen europäischen Ländern nicht zu vergleichen ist. Das hat auch die Gewerkschaften geschwächt, weil die Beschäftigten Angst haben, sich zu wehren.
Wichtig ist aber gerade auch, dass die Menschen aus ihrer Apathie herauskommen und sich wieder stärker politisch engagieren, wenn wir etwas verändern wollen. Das Laufen im Hamsterrad muss durchbrochen werden.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.