Europäer verärgert über US-»Marschbefehl«

Widerstand gegen Washingtons Forderung nach mehr Truppen für Afghanistan

  • Lesedauer: 3 Min.
EU-Chefdiplomat Solana hat sich die Kritik führender US-Militärs am europäischen Engagement in Afghanistan verbeten. Niemand habe das Recht zu sagen, dass sich die Mitgliedsländer nicht genug einbrächten, sagte Solana in Göteborg.

Göteborg/Washington (dpa/ND). Der Ruf des US-Militärs nach mehr Truppen für Afghanistan stößt bei den Europäern auf ein zögerliches Echo. Bei einem Treffen der europäischen Verteidigungsminister in Göteborg (Schweden) signalisierten mehrere EU-Staaten am Dienstag, sowohl die Berichte der Wahl- und Beschwerdekommissionen in Afghanistan als auch die nächsten Schritte von US-Präsident Barack Obama abwarten zu wollen.

Der EU-Außenbeauftragte Javier

Solana ging zum Abschluss der informellen Beratungen der EU-Verteidigungsminister auf Distanz zu Vorstellungen des Pentagons nach noch mehr Truppen aus EU-Ländern in Afghanistan. Er verwies darauf, dass der Militäreinsatz dort weit größer sei als die EU-Missionen auf dem benachbarten Balkan.

In Washington machte Obamas Sprecher Robert Gibbs am Dienstag deutlich, der US-Präsident wolle vermutlich erst in mehreren Wochen eine Entscheidung fällen. Der Oberbefehlshaber der US- und NATO-Truppen in Afghanistan, Stanley McChrystal, hatte kürzlich einen formellen Antrag bei seinen Vorgesetzten gestellt. Nach Medienberichten wird erwartet, dass McChrystal eine Aufstockung der 65 000 Mann starken US-Truppe in Afghanistan um weitere 40 000 Soldaten fordert. Hintergrund sind die schlechte Sicherheitslage und der Vormarsch der Taliban.

»Ich denke, das ist eine Diskussion, die jetzt erst einmal in Amerika geführt wird, und dann werden wir in der NATO darüber reden«, sagte Verteidigungsminister Franz Josef Jung in Göteborg. »Unser Ziel muss sein, in einer vernünftigen Zeit zu einer selbsttragenden Sicherheit in Afghanistan zu kommen.« Ähnlich äußerte sich sein belgischer Amtskollege Pieter de Crem. Deutschland ist mit gut 4000 Soldaten am Hindukusch vertreten.

In einer Rede in Washington nahm NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen die US-Verbündeten in Schutz. Nach seinen Angaben sind mit 35 000 Soldaten 40 Prozent der gesamten Truppen am Hindukusch nicht von den USA gestellt. Und die Zahl steige: In den vergangenen eineinhalb Jahren seien 9000 dazugekommen. »Ich bin mir nicht sicher, ob all das die Aufmerksamkeit in den USA erhält, die es verdient«, sagte der Däne. Er wisse aber auch um die diesbezüglichen Frustrationen in den USA. »Ich arbeite bereits hart daran, diese sehr realen Probleme anzugehen.« Die NATO werde so lange wie nötig am Ort bleiben. Es sei Geduld gefragt.

Solana äußerte sich auch zu dem Bericht der UN-gestützten Beschwerdeorganisation zur Wahl in Afghanistan. Dieser werde bis spätestens 7. Oktober erwartet. »Dann wird die Situation analysiert werden müssen und entschieden werden, ob eine zweite Runde notwendig ist oder nicht.« Bei der umstrittenen Präsidentenwahl im August war Präsident Hamid Karsai mit 54,6 Prozent der Stimmen wiedergewählt worden. Die Wahlkommission will das amtliche Endergebnis jedoch erst nach Überprüfung zahlreicher Betrugsvorwürfe verkünden.

Bei einem schweren Bombenanschlag auf einen Überlandbus sind in der südafghanischen Provinz Kandahar mindestens 30 Zivilisten getötet worden, teilte am Dienstag das Innenministerium in Kabul mit. Der Sprecher des Provinzgouverneurs, Selmai Ayoubi, machte »Feinde Afghanistans und des Islam« für die Tat verantwortlich. So umschreiben afghanische Behörden Aufständische wie die Taliban.

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