Eine Schönheit in Europa

Vor 25 Jahren wurde das Schauspielhaus, heute Konzerthaus Berlin, wiedereröffnet

  • Lesedauer: 6 Min.
HERMANN FALK wirkte als Direktor der Künstleragentur der DDR am Eröffnungsprogramm des Schauspielhauses mit. Auch in den Folgejahren war er an der Organisation vieler Konzerte beteiligt. CHRIS ROHOWSKI fragte ihn nach seinen Erinnerungen.
Leonard Bernstein beim Eintrag ins Gästebuch der Künstleragentur, daneben: Hermann Falk.
Leonard Bernstein beim Eintrag ins Gästebuch der Künstleragentur, daneben: Hermann Falk.

ND: Herr Falk, welche Bedeutung hatte die Wiedereröffnung des Schauspielhauses am 1. Oktober 1984 für Sie?
Falk: Als ich 1957 nach Berlin kam, habe ich noch geholfen, die Trümmer des Schauspielhauses zu beseitigen. Wir waren alle glücklich über den Beschluss der DDR-Regierung, das Haus als Konzerthaus wieder aufzubauen, weil ein repräsentativer Konzertsaal fehlte und sich dann auch für uns als Künstleragentur viele neue Möglichkeiten und Kontakte ergaben. Das Konzerthaus ist eines der schönsten in Europa. Das machte es leichter, weltbekannte Orchester und Konzertsolisten zu günstigen Bedingungen zu gewinnen. Auch haben damals alle Regierungen in Europa kulturellen Austausch wesentlich stärker unterstützt als heute.

Allein während der Eröffnungstage waren fünf repräsentative Orchester aus dem Ausland zu Gast.
Darunter zum ersten Mal die Wiener Philharmoniker, noch dazu mit Leonard Bernstein! Mit ihm konnten wir damals eine Beziehung schaffen, aus der sich auch spätere schöne Gastspiele im Konzerthaus ergaben.

Die Künstleragentur war also auch in den Folgejahren an der Programmgestaltung beteiligt?
Ja, bis 1989 organisierten wir Gastspiele internationaler Ensembles. In dieser Zeit gelang es uns, zahlreiche namhafte Orchester aus Europa und darüber hinaus ins Schauspielhaus einzuladen. Neben Dirigenten wie Bernstein, Menuhin, Muthi, Sinopoli, Sawallisch, Chailly, Levine, Celebidache, Dorati, Metha konnten wir zum ersten Mal auch Barenboim, Abbado, Askenazy und Frühbeck de Burgos ins heutige Konzerthaus verpflichten – Dirigenten, die später eine herausragende Stellung im Berliner Musikleben einnahmen und noch einnehmen. Besonders opulent war das Programm 1987, im Jahr des Berliner Stadtjubiläums. Für die DDR war das Jubiläum ein wichtiges Prestigeprojekt auch im Wettstreit mit Westberlin. Man wollte national und international repräsentieren. Das ist gelungen.

Vor seinem ersten Gastspiel im Jahr 1984 erwog Leonard Bernsteins kurzzeitig, das Konzert abzusagen. Warum?
Studenten der Musikhochschule hatten vor dem Schauspielhaus protestiert, weil es nicht genug Karten im öffentlichen Verkauf gab. Zeitungen in Westberlin haben das unglaublich aufgebauscht, sodass Bernstein überzeugt war, dass nur »Bonzen« im Saal sitzen würden und er unter diesen Umständen nicht dirigieren wolle. Mit Mühe konnte ich ihm erklären, dass nur eine einzige Stuhlreihe für die Regierung bzw. ihre Gäste reserviert war, ansonsten sich aber mehrheitlich Dirigenten, Solisten und Musiker im Saal befanden. Es war ein tolles Konzert, und ein sachkundiges Publikum feierte Orchester und Dirigenten. Als Bernstein 1987 mit dem Concertgebouw Amsterdam im Schauspielhaus gastierte, gaben sie gleich vier Konzerte. Das Kartenproblem hatte sich damit erübrigt, obwohl die Nachfrage immer noch höher war. Bernstein war sehr aufgeschlossen und an allem in der DDR hoch interessiert. Uns hat besonders gefreut, mit welch großem Engagement er sich dem Orchester der Musikhochschule Berlin und jungen Dirigenten widmete.

Zum dritten Mal gastierte Bernstein dann in der Wendezeit im Schauspielhaus.
Ja, meine letzte Begegnung mit ihm fand 1989 statt, als er nach dem Fall der Mauer ein Konzert mit dem Orchester des Bayerischen Rundfunks, dem Thomanerchor, dem Chor des Bayerischen Rundfunks und Musikern aus mehreren weltbekannten Orchestern dirigierte. Zur Aufführung kam Beethovens Neunte. Bernstein sagte mir, dass er nicht Freude, sondern »Freiheit schöner Götterfunken« singen lassen wolle, und fragte, ob ich einverstanden sei. Mein Hinweis auf Schiller und Werktreue verpuffte erwartungsgemäß, sodass ich schließlich erklärte, er sei ein so großer Künstler und sein Anliegen dem Anlass des Konzertes so angemessen, dass er das selbst entscheiden könne. So gab es ein für das Haus historisches Konzert.

Wie bewerten Sie die gegenwärtige Stellung des Konzerthauses im Berliner Musikleben?
Das Konzerthaus spielt heute eine andere Rolle als vor 25 Jahren. In der Hauptstadt der DDR war das Schauspielhaus das führende Konzerthaus. Es war eines der kulturellen und auch politischen Vorzeigeobjekte der DDR, vergleichbar mit der Semperoper Dresden und dem Gewandhaus Leipzig. Im vereinigten Berlin sind die Berliner Philharmoniker das zu Recht anerkannte Spitzenorchester und deshalb auch Objekt bedeutender Sponsoren. Das Konzerthaus verfügt nicht annähernd über solche Mittel. Das wirkt sich auf den Konzertplan aus. Aber auch die Haltung des Berliner Senats und der Bundesregierung zum Konzerthaus haben sich negativ ausgewirkt.

Inwiefern?
Sehr treffend hat sich Prof. Frank Schneider, der von 1992 bis Mitte 2009 Intendant des Konzerthauses war, in der »Berliner Zeitung« dazu geäußert. Ich zitiere aus seinem Interview, was ihm als Intendant inoffiziell gesagt wurde: »Seien Sie mal dankbar, dass wir Sie das machen lassen und stellen Sie keine Forderungen. Die Philharmonie ist der Ferrari und das Konzerthaus der Trabant«. Im Interview mit der »F.A.Z.« sprach Schneider von einer Zusage von Frau Merkel, die damals noch nicht Bundeskanzlerin war, das Konzerthaus mit Bundesmitteln zu unterstüzten. Nach der Wahl daran erinnert, habe sie gemeint, da sei sie doch in der Opposition gewesen. Nicht umsonst hat Chefdirigent Lothar Zagrosek seinen angekündigten Weggang vom Konzerthaus damit begründet, dass er bei der inhaltlichen Neupositionierung des Konzerthausorchesters aufgrund fehlender Unterstützung keine Perspektive mehr sehe.

Sie veranstalten im Jubiläumsmonat Oktober ein Konzert des Moskauer Symphonie Orchesters. Was erwartet die Zuhörer ?
Das Orchester ist unter Leitung des neuen Chefdirigenten Arkady Berin auf einer Europatournee. Es wird ein sehr interessantes Programm. Von Peter Tschaikowsky erklingen zwei seiner bekanntesten Werke, das Klavierkonzert Nr. 1 und die 5. Sinfonie. Das Finale des Konzertes für Orchester und zwei Klaviere von Mendelssohn Bartholdy dürfte wohl zum ersten Mal im Konzerthaus erklingen.

Ein Anliegen des Konzerts ist die Förderung junger Künstler.
Das Orchester entspricht dem besonderen Wunsch der Förderer dieses Konzertes – der GAZPROM Germania und der Wintershall AG –, in Berlin junge Solisten aus Russland vorzustellen. Selbst der international schon bekannte Alexander Ghindin, Solist des Tschaikowsky-Konzertes, ist erst 32 Jahre alt. Mit dem Finale aus einem Konzert für zwei Klaviere von Mendelssohn Bartholdy stellt er Vadym Kholodenko vor, 23 Jahre alt und noch Student am Moskauer Konservatorium, aber schon Preisträger mehrerer internationaler Klavierwettbewerbe. Und schließlich wird der 15-jährige Oboist Sergej Finojedov mit einem Rossini-Konzert auftreten.

Eine umfangreiche, üppig illustrierte Geschichte des Theaters erschien unter dem Titel »Apollos Tempel in Berlin – Vom Nationaltheater zum Konzerthaus am Gendarmenmarkt« im Prestel-Verlag. Hrsg. v. Berger Bergmann und Gerhard Müller, 340 S., 39,95 €.

Zum Bild: Die Windjacke, die Bernstein trägt, gehörte ursprünglich einem Studenten aus der DDR. Während einer Autogrammstunde nach einem Konzert am 19. Oktober 1987 soll der Star-Dirigent sie gegen seine teure Lederjacke eingetauscht haben.

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